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Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Titel: Schauen sie sich mal diese Sauerei an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Nießen
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Florian ist der Funkverkehrsname für unsere Leitstelle. Da Hein noch immer mit den Tränen kämpfte, griff ich zum Funkhörer: »Kommen Sie für den 04-83-01.« »Frage Standort?« »Dresdner Platz.« »Ihr steht goldrichtig, fahrt mal zur Uferstraße 3, dort chirurgischer Notfall ohne Notarzt bei Ramm.« »Verstanden, sind unterwegs.« Zum besseren Verständnis: Bei »chirurgischer Notfall ohne Notarzt« handelt es sich in der Regel um leichte Verletzungen, die das Team eines Rettungswagens auch ohne ärztliche Hilfe erfolgreich behandeln kann, zum Beispiel leichte Schnittverletzungen, Platzwunden oder auch ein schmerzfreier Bruch. Man darf diesen Stichworten aber nicht zu viel Bedeutung beimessen. Bei »Kindernotfall« würde man vielleicht Fieberkrämpfe oder verschluckte Legosteine erwarten. Es ruft die verängstigte Mutter an: »Mein kleiner Sohn bekommt schlecht Luft«, aber beim Eintreffen stellt man fest, dass die Dame 82 Jahre alt und der Sohn ein 63-jähriger Asthmatiker ist, der noch bei Mama wohnt. Nach kurzer Alarmfahrt hatte Hein sich beruhigt, auch wenn das T-Shirt nicht zu retten war. Wir erreichten die Einsatzstelle. Ein angelaufenes Messingschild am Tor der Gartenanlage verriet uns, dass wir richtig waren: »RAMM Consulting Unternehmensberatung.« Auf dem Weg zur Eingangstür lästerte Hein noch: »Hier wird sich doch hoffentlich niemand an nem Blatt Papier geschnitten haben.« Wir läuteten, eine kurze Tonfolge, und eine elegant gekleidete Dame um die vierzig mit streng zurückgekämmten Haaren öffnete die Tür. Die Dame wirkte etwas unterkühlt, also rein charakterlich, und ich fragte mich, ob sie als Biest eher bei Dallas oder im Denver Clan mitgespielt hätte. »Sind Sie Frau Ramm?«, fragte ich. Die folgende Antwort werde ich wohl nie in meinem Leben vergessen. Wörtlich: »Ja, das bin ich. Aber kommen Sie doch bitte rein, ich glaube nicht, dass Sie noch etwas tun können, aber schauen Sie sich mal diese Sauerei an, die mein Mann mir hier gemacht hat.« Das klang nicht gut. »Nichts mehr tun können« und »Sauerei gemacht« - Pulsadern aufgeschnitten oder Tablettenintox und am Erbrochenen erstickt, hässliche Sachen gingen mir durch den Kopf. »Wo ist Ihr Mann jetzt?«, fragte Hein in dominantem Tonfall, was mit seinem von Speiseeis versifften T-Shirt etwas albern wirkte. »Im Badezimmer, den Flur entlang, dritte Türe links«, beschrieb Frau Ramm völlig ruhig und ebenso knapp wie präzise den Aufenthaltsort ihres Gatten. Wortlos eilten wir den Flur entlang, ich erreichte das Badezimmer als Erster. Der Anblick, der sich mir bot, war völlig unwirklich. Frau Ramm hatte recht, hier konnten wir nichts mehr tun. Herr Ramm hatte sich mit einer kurzen doppelläufigen Schrotflinte in den Kopf geschossen. Stellen Sie sich ein ausgebombtes Haus vor, von dem nur noch beschädigte Grundmauern stehen - so ungefähr können Sie sich den Kopf von Herrn Ramm vorstellen. Hinterkopf und Schädeldach fehlten vollständig, der ehemalige Inhalt hatte sich in einem Hellgrau-Rosa auf den weißen Badezimmerfliesen verteilt und folgte langsam der Schwerkraft, der Blick auf beide Innenohre lag frei. Der Begriff »Kopfplatzwunde« bekam hier eine völlig neue Dimension. Mir ging der Satz nicht aus dem Kopf: »Schauen Sie sich mal diese Sauerei an, die mein Mann mir hier gemacht hat.« Sicher, das Bad sah aus, als hätte man dort ein Hausschwein mit TNT gesprengt, die Frau stand vielleicht unter Schock, aber ein wenig gefühlskalt war der Satz schon. Frau Ramm erinnerte mich an eine Gottesanbeterin oder besser noch an eine Schwarze Witwe, eine Einladung zu einem romantischen Essen zu zweit bei Kerzenschein würde ich jedenfalls ablehnen. Sirenen ertönten, die Polizei traf ein, und es freute mich, dass Frau Ramm angesichts der Ereignisse nicht nur einen Rettungswagen gerufen, sondern auch die Polizei alarmiert hatte. Nach einem kurzen Gespräch mit den Kollegen von der Polizei verließen wir diese Geisterbahn. Auf dem Weg zur Wache bat ich Hein, die Geschichte mit der Katze zu Ende zu erzählen.

7. Anhänglichkeit Ist schwierig — manchmal sogar unmöglich
    Wohin Einsamkeit führen kann

    Wenn ein Mann zurückweicht, weicht er zurück. Eine Frau weicht nur zurück, um besser Anlauf nehmen zu können. Zsa Zsa Gabor

    T ief in ihrem Inneren war Veronika wahrscheinlich eine liebenswerte, ganz normale Frau. »Normal« ist im Zusammenhang mit einem Menschen natürlich eine äußerst schwierige Umschreibung. Was ist

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