Schauen sie sich mal diese Sauerei an
regelmäßig Medikamente?«, ergänzte Hein meine Patientenbefragung. Klara erzählte etwas von Bluthochdruck und entsprechenden Medikamenten, während ich die Blutdruckmessung durchführte. »Bei den Anzeichen, die Sie beschreiben, müssen wir ein EKG anfertigen. Können Sie den Oberkörper bitte freimachen?«, bat ich unsere Patientin. Frau Hansen half, so gut sie konnte, trotzdem war es äußerst schwierig, zehn Klebeelektroden auf Schultern, Brust und Bauch zu verteilen und dabei alle Hindernisse zu meistern. Kennen Sie diese fleischfarbenen Stützkorsetts mit Stahlbandeinlage und doppelt verstärkten Spanngurtverschlüssen? Man braucht Begriffe aus dem Schwerlastverkehr, um diese Fesseln des Bindegewebes treffend zu beschreiben. Mir persönlich ist nicht ein Geschäft bekannt, das diese Dinger verkauft. Dennoch sind Stützkorsetts unter älteren Damen so verbreitet wie dritte Zähne und Klosterfrau Melissengeist. Mir könnte das ja ganz egal sein, wenn ich diese Funktionskleidung nicht aus beruflichen Gründen von Zeit zu Zeit öffnen müsste. Wenn man sich durch die Zwiebelschichten Strickjacke, Bluse und Angoraunterwäsche bis zum Objekt der Begierde vorgekämpft hat, beginnen erst die Schwierigkeiten. Finden Sie den Verschluss! Alles kein Problem, sagt der Mann von Welt - ich hab früher schon den BH meiner Freundin mit der linken Hand nur zwischen Daumen und Zeigefinger auf dem Rücken aufgemacht. Gratulation zu dieser Leistung!, aber Stützkorsetts haben ihren Verschluss oft zwischen den Brüsten und auf dem Bauch oder wahlweise auch auf der Seite beziehungsweise bei Ganzkörpervarianten, sogenannten »Bodys«, sogar mal im Schritt. Seien wir doch ehrlich: Was uns als Teenager begeistert hätte, bedeutet in dieser Preis- und Altersklasse das kalte Grauen. Haben Sie den Verschluss gefunden, ist das Ding ja noch nicht offen - Werkzeug der Wahl ist hydraulisches Rettungsgerät oder die Blechschere. Da dies selten von Patienten toleriert wird, müssen wir uns, nachdem die Spanngurtverschlüsse der Stahlbänder geöffnet sind, an mikroskopisch kleinen Widerhaken die Fingernägel abbrechen. Diese Probleme löst man im Wissen, dass unter so einem Korsett auch gerne mal ein Pilz wächst. Hier gibt es Gerüche, die der männlichen Nase normalerweise verborgen bleiben. Abgesehen von solchen Leckerchen sind Form und Festigkeit des Packgutes nicht mehr das, was es einmal war. Fragen Sie mich nach dreizehn Jahren Feuerwehr und Rettungsdienst doch mal, ob ich lieber einer alten Dame aus dem Korsett helfe oder den blutigen offenen Unterschenkelbruch einer 23-jährigen Eiskunstläuferin versorge ... Bei Frau Hansen war allerdings alles halb so wild. Mit vereinten Kräften wurden die Zwiebelschichten ausgezogen und das Stützkorsett mit Frontverschluss vollständig entfernt. Das Aufkleben der Klebeelektroden erforderte eine gewisse Kreativität. Brüste, die ohne technische Hilfe den Kampf gegen die Schwerkraft verloren haben, behindern hier und da das Auffinden festgelegter anatomischer Punkte. Nachdem Klara komplett verkabelt war, legten wir ihr eine Decke über die Schul, tern, sodass sie nicht halbnackt im Sessel vor uns sitzen musste. Bei so jungen Kerlen wie uns führt so was sonst nur zu Missverständnissen. Der EKG-Monitor wurde angeschlossen, das Ergebnis ausgedruckt und durch Hein und mich mit solidem medizinischen Halbwissen interpretiert. Frau Hansen schaute uns erwartungsvoll an, es vergingen einige Augenblicke, bis ein fragendes »Und?« uns zu einer Aussage zwang. »Tja«, begann ich zögernd, »ich bin kein Arzt, Frau Hansen.« »Nennen Sie mich doch Klara«, wiederholte Frau Hansen. »Gut, Klara, ich bin kein Arzt, doch das EKG deutet auf einen Herzinfarkt hin. Der Notarzt wird sich das EKG gleich anschauen und die endgültige Diagnose stellen. Bis dahin werden wir den Blutzucker messen und eine Infusion vorbereiten.« »Machen Sie nur, Hauptsache, ich werde wieder gesund, ich muss doch in sechs Tagen zu meinem Enkelkind nach Kanada, der Junge wird zum ersten Mal Vater«, erwiderte Klara in rührendem Tonfall. Es klopfte an der Wohnzimmertür, Notarzt und Assistent trafen mit der besorgten Nachbarin im Schlepptau ein. »So, Jungs, was haben wir denn hier?«, schmetterte Dr. Lehenbrink mit einer gewissen Selbstgefälligkeit in den Raum. Unser Notarzt war Klara sichtlich unsympathisch, die fehlende Vorstellung seiner Person und die Art seines Auftretens ließen Klara eine Miene aufsetzen, als wären ein
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