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Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Titel: Schauen sie sich mal diese Sauerei an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Nießen
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Gerichtsvollzieher und ein Giftmörder zum Tee erschienen. Die nun folgende medizinische Übergabe war meine Aufgabe. Ich erwähnte alle relevanten Informationen, beschrieb die Auffälligkeiten im EKG und schloss mit der Verdachtsdiagnose: »Ich denke, Frau Hansen hat einen Herzinfarkt.« Dr. Lehenbrink drehte sich um, musterte mich von oben bis unten und sagte: »Sie wollen doch nicht behaupten, dass Sie zum denkenden Teil der Bevölkerung gehören!« Mir stand der Mund offen. Eine solche Beleidigung hatte ich lange nicht hinnehmen müssen, noch dazu völlig unerwartet. Verstehen Sie mich nicht falsch, normalerweise bin ich ein schlagfertiges Kerlchen, aber in dieser Situation fand ich keine Worte, ich hatte nur noch Lust, das Nasenbein des Notarztes einer gewissen Kaltverformung zu unterziehen. Hilfe kam von unerwarteter Seite. »Hören Sie mir gut zu, Sie ungehobelter ehemaliger Medizinstudent, in meiner Wohnung dulde ich ein solch arrogantes Verhalten nicht! Soziale Kompetenz ist anscheinend nicht Ihre Stärke - ich hoffe, Sie sind wenigstens medizinisch auf der Höhe«, sprach Klara in Richtung Dr. Lehenbrink mit einer Stimme, die pure Autorität ausstrahlte. Hoppla, dachte ich, unsere liebe Klara kann auch anders. Dr. Lehenbrink wusste nicht, wie ihm geschah, jedenfalls machte er ein Gesicht wie ein Fünfjähriger, dem man seinen Ball weggenommen hat. Hein grinste in sich hinein, mir war nicht klar, wie ich reagieren sollte, und Dr. Lehenbrink blieb ebenfalls eine Antwort schuldig. Stattdessen fuhr Klara im Befehlston fort: »Warum sind Sie eigentlich hier? Bisher haben Sie, außer diesen jungen Mann zu beleidigen, noch nichts Nennenswertes zustande gebracht! Die Herren haben angedeutet, ich hätte einen Herzinfarkt - da haben Sie doch sicher etwas zu tun!« Unser »ehemaliger Medizinstudent« griff nach dem EKG und studierte die verschiedenen Ableitungen der Herztätigkeit. Mit wichtiger Miene holte er aus: »Ich muss die Verdachtsdiagnose leider bestätigen, alles deutet auf einen Herzinfarkt hin. Wir werden Ihnen sofort einige Medikamente verabreichen und Sie anschließend ins Krankenhaus transportieren.« Klara nickte zustimmend. Eine Infusion wurde angeschlossen, Ampullen aufgezogen, Sauerstoff verabreicht, nach der Krankenkassenkarte gefragt, eine Anmeldung auf der Intensivstation arrangiert, kurz, es wurde alles Notwendige in die Wege geleitet. Noch während wir mit Schläuchen, Kabeln und  Spritzen herumfuchtelten, wurde Klara nachdenklicher. Ihr Gesichtsausdruck ließ nichts Gutes ahnen: »In welches Krankenhaus wollen Sie mich eigentlich - wie sagten Sie so schön -transportieren, und wie lange soll ich dort bleiben?« »St. Maria Hilf, aber die Klinik ist nicht so wichtig, Hauptsache Intensivstation mit Herzkatheterlabor und Minimum zwei Wochen«, antwortete unser Notarzt knapp. »Vergessen Sie das«, stellte Klara unmissverständlich fest. Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass von der morgendlichen Frühstücksorgie für Hein und mich nichts, aber auch gar nichts übrig bleiben würde. Ein kurzer Blick zu Hein - er dachte das Gleiche. Diskussionen mit Patienten, ob und wenn ja, in welches Krankenhaus gefahren wird, sind langwierig. Die morgendliche Ablösung von Rettungsteams soll schon bei Patienten im Wohnzimmer stattgefunden haben, weil das Problem »Zielkrankenhaus« nicht kurzfristig zu lösen war. Die Krux ist mangelhafte Aufklärung der Bevölkerung in rettungsdienstlichen Fragen und daraus folgend falsch verstandene Rechtsansprüche. Ein Beispiel: »Freie Arztwahl« - etwas Wunderbares, nur wo fängt dieser medizinische Luxus an, und wo hört er auf? Ein Patient in Düsseldorf hat sich das linke Bein gebrochen - der Rettungsdienst möchte ins zwei Kilometer entfernte und geografisch zuständige Krankenhaus fahren. »Nein, nein«, sagt der Patient, »der Chirurg meines Vertrauens praktiziert in München im Klinikum rechts der Isar, und da bringen Sie mich jetzt auch bitte hin, ich bin gesetzlich versichert und habe freie Arztwahl, jawohl!« Die Diskussionen, die sich aus solchen Situationen ergeben, sind nicht nur grotesk, sondern auch belastend. Ein zweifelhafter Rechtsanspruch führt dazu, dass sachliche Argumentationsketten nichtig werden und man sich einer wahren Beschwerdeflut erwehren muss. Selbstverständlich fährt Sie kein Rettungswagen für ein gebrochenes Bein von Düsseldorf nach München. Das Unverständnis der Patienten und die daraus resultierenden Beschwerden

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