Schauen sie sich mal diese Sauerei an
Verlängerung gehen, und das bedeutete unweigerlich, dass für Hein und mich von dem köstlichen Buffet bestenfalls ein paar Reste übrig bleiben würden: kalte Würstchen, die in kaltem Fett liegen, und zwei, drei Scheiben von dem Käse, den eh keiner mag. Feuerwehrleute sind immer auch Nahrungskonkurrenten. Legen Sie morgens mal eine Tiefkühlpizza in den Kühlschrank, ohne Ihren Namen mit 5ooer Edding-Permanent-Marker auf die Packung zu schreiben - die Pizza ist abends verschwunden, ein Naturgesetz wie Schwerkraft oder Ebbe und Flut. Oder Sie haben sich etwas beim Lieferservice bestellt, sagen wir Gyros, Zwiebeln, Pommes, Mayo; durch einen Einsatz werden Sie in Ihrer Mahlzeit unterbrochen, der Unterzuckerung nahe kommen Sie zurück - Ihr Teller steht leer, aber ungespült in der Küche. »Ja, kalt kann man das ja nicht essen und Aufwärmen ist ja auch nix, da haben wir uns drum gekümmert«, entschuldigt sich dann ein leicht übergewichtiger Kollege. »Drum gekümmert«, eine eher schmeichelhafte Umschreibung für »weggefressen«. Nachdem Hein und ich leicht zerknirscht am Einsatzort angelangt waren, öffnete uns eine Nachbarin, die offensichtlich im Besitz eines Haustürschlüssels war, besorgt die Wohnungstür: »Der Frau Hansen geht es nicht gut, bestimmt der Blutdruck oder die Schilddrüse - man weiß es nicht.« Frau Hansen wohnte auf circa 75 Quadratmetern in einem hübschen Arrangement aus Jugendstilmöbeln und einer unbestimmbaren Masse an Porzellanfigürchen. Besonders ins Auge fiel eine ganze Herde von Porzellanpferden, die so filigran gearbeitet waren, dass Grobmotoriker wie ich schon beim Anschauen Angst haben, etwas kaputt zu machen. Der Boden war übersät mit Teppichen, sodass vom Parkett im Fischgrätenmuster so gut wie nichts mehr zu erkennen war. Warum schafft man sich eigentlich einen teuren Holzboden an, wenn man ihn nachher krampfhaft mit allerlei Weberzeugnissen vor Stöckelschuhen und Fußabdrücken schützen möchte? Das wirklich Teuflische aber waren die vielen kleinen Läufer, die auf den Teppichen lagen. Hiermit wird dann sogar der Teppich, der das Parkett schützen soll, geschützt - jeder wie er will, aber diese Läufer sind wirklich gefährlich. Ich will gar nicht wissen, wie viele Oberschenkelhalsknochen schon dem Stolpern über Teppichläufer zum Opfer gefallen sind. Menschen, die Teppichläufer besitzen, gehen mit ihrer Gesundheit genauso leichtsinnig um wie Extremsportler und kettenrauchende Alkoholiker. Ich habe aber noch kein Aktionsprogramm von Krankenkassen und Gesundheitsverbänden wahrgenommen, in dem die Abschaffung und Ächtung von Teppichläufern gefordert wird. Frau Hansen war eine resolute 81-jährige Dame, die auf den ersten Blick für ihr Alter einen überdurchschnittlich guten Allgemeinzustand aufwies. Wache Augen, pralle rosige Haut und eine gerade Körperhaltung signalisierten physische Stärke. Silber-blau gefärbte, wohlfrisierte Haare und eine modische, wenn auch altersgerechte Garderobe rundeten das Erscheinungsbild positiv ab. »Sie mag ich - Sie erinnern mich an mein Enkelkind.« Das war Frau Hansens erster Satz, an mich gewandt, nachdem Hein und ich das Wohnzimmer betreten hatten. Wir stellten uns kurz vor, und ich bereitete Frau Hansen auf den bevorstehenden Ansturm medizinischer Hilfe vor: »Gleich kommt noch der Notarzt, nicht aufregen, dann wimmelt es hier vor Männern in roten Hosen.« »Sie sprechen sogar wie mein Enkelkind, nennen Sie mich doch Klara!« Hein wurde kaum eines Blickes gewürdigt - die Sympathien waren jetzt schon klar verteilt. »Warum haben Sie uns denn gerufen, wo liegt das Problem?«, begann ich unverfänglich ein Gespräch. »Vor zwei Monaten hab ich ein Gesundheitsmagazin im Fernsehen verfolgt, da ging es um Herzinfarkte, und ich hab mir die Symptome aufgeschrieben - weil ich doch zur Risikogruppe gehöre.« »Welche Risikogruppe?«, unterbrach ich Klara. »Ich war doch Lehrerin und rauche zwischendurch Zigarillos.« Tolle Definition von Risikogruppe, dachte ich. Wenn alle pensionierten rauchenden Pädagogen Risikopatienten sind, dann habe ich in den nächsten Jahren alle Hände voll zu tun. »Und jetzt haben Sie Schmerzen?«, bohrte ich weiter. »Ja, Schmerzen in der Brust, und der linke Arm ist irgendwie taub.« Ich erklärte Klara meine weitere Vorgehensweise: »Wir wollen keine Zeit verlieren, bis der Notarzt eintrifft. Deshalb messe ich schon mal Blutdruck und Puls bei Ihnen.« »Haben Sie Vorerkrankungen? Nehmen Sie
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