Schauen sie sich mal diese Sauerei an
Besser den Rettungswagen alarmieren, der würde sofort kommen, und blaue Lampen hatte er auch noch auf dem Dach. Für Hein und mich war es ein guter Tag, wir durften einen Praktikanten anlernen. Mit anderen Worten: Schlepperei und andere unangenehme Aufgaben konnten pädagogisch wertvoll delegiert werden. Zu dritt betraten wir die Wohnung von Jaqueline und Björn. »Guten Abend, Rettungsdienst, wie können wir Ihnen helfen?«, rezitierte Lars, unser Praktikant, die auswendig gelernte Begrüßungsfloskel. »Eh Mann, ich muss ins Krankenhaus, eh, 40. Woche und so, voll die Wehen, Alter!«, antwortete Jaqueline. Lars’ Gesichtsausdruck machte sofort einen leicht überforderten Eindruck, und so übernahm Hein die weitere Befragung: »In welchen Abständen treten die Wehen denn auf?« »Eh Scheiße, Mann, alle paar Minuten, ich mach es mir doch nicht mit der Stoppuhr, keine Ahnung!«, war die patzige Antwort. Schwangere sind zum Ende der Tragzeit häufig schlecht gelaunt, und so darf man ein gewisses Maß schlechten Benehmens nicht überbewerten. Die ganze Zeit außer Atem, Übergewicht, monatelang schlabberige Klamotten tragen und die Aussicht auf hängende Brüste nach der Stillzeit - das kann einem schon mal den Tag versauen. Hein wies unseren Praktikanten in die erweiterte Fragestellung bei Schwangeren ein: Mutterpass, mögliche Probleme während der Geburt und aufnehmender Kreißsaal wurden gemeinsam erörtert und Unklarheiten beseitigt. Der Junge sollte ja schließlich was lernen. Nach Aussage der Mutter war während der Schwangerschaft alles in bester Ordnung. Seit unserer Ankunft waren keine starken Wehen mehr aufgetreten, so eilig konnte die Ankunft des neuen Menschenkindes also nicht sein. Wir waren entspannt, gemeinsam entschieden wir, Jaqueline ohne Arztbegleitung in ihr Wunschkrankenhaus zu transportieren. Warum sollte es Probleme geben - schließlich hatten Hein und ich schon hunderte, ach, was sage ich, tausende Beinahgebärende ins Krankenhaus gebracht. Nachdem ein Koffer gepackt und romantische Verabschiedungsrituale erledigt waren, machten wir uns auf den Weg. Jaqueline wollte selbst laufen, das Angebot, sie zu tragen, lehnte sie kategorisch ab. Auch als Hein sanft ihren Arm stützte, wehrte sie sich mit den charmanten Worten: »Eh Alter, lass mich los, eh, pass lieber auf deinen Kollegen auf.« Das war auch dringend nötig, denn Lars hatte die Arschkarte gezogen und stolperte, bepackt mit Koffer, Schwangerschaftstasche und einer riesigen Stoffrobbe, ungeschickt durchs Treppenhaus. Am Rettungswagen angelangt, wurde das Gepäck verladen und die Trage mit einem sauberen Einmallaken für den Transport vorbereitet. Jaqueline stand vor der geöffneten Schiebetür und schwang ungeduldig ihr linkes Bein hin und her. »Eh, dauert das hier noch lange oder was?«, fragte sie fordernd. »Nur noch eine kleine Sekunde Geduld, so, schon fertig, steigen Sie doch bitte ein, und legen Sie sich dann ganz entspannt auf die Trage«, antwortete Lars bewusst freundlich mit einer einladenden Handbewegung. Der nächste Schritt veränderte die Situation. Jaqueline stand bereits mit dem linken Bein im Patientenraum, als ihr plötzlich ein spitzer Schrei entfuhr. »Iiiiiihhhhhh«, brachte sie noch hervor, als im selben Moment eine große Menge Fruchtwasser die Schwangere verließ und sich in den Rettungswagen und über Heins Hose ergoss. Hein stand etwas unterhalb hinter Jaqueline auf der Straße und fluchte aus Leibeskräften: »Verdammte Scheiße, schon zum zweiten Mal heute den Frack versaut, ich glaub es ja nicht.« Hein hatte aber auch Pech. Drei Stunden zuvor hatte ihm ein Kleinkind mit Verdacht auf Gehirnerschütterung liebevoll in den Schoß gekotzt. Zurück zu unserer Einsatzsituation. Das Platzen der Fruchtblase sollte einen nicht nervös machen. So was überträgt sich nur auf die Tragende und führt zu unnötiger Hektik und Unruhe. Jaqueline war Gott sei Dank erprobt in diesen Dingen. Als Mehrfachgebärende wusste sie so gut wie ich, dass keine besondere Eile geboten war, solange keine erneuten Wehen auftraten. Lars hielt das Fruchtwasser jedoch für eine Art Startschuss und kramte schweißgebadet nach Nabelklemmen und Silberwindeln in den Schubladen, bis Hein ihn beruhigte: »Lass gut sein, Junge, die restliche Schweinerei findet im Kreißsaal statt.« Jaqueline wurde gebeten, sich auf die Trage zu legen, und los ging die Fahrt durchs halbe Stadtgebiet. Man hätte natürlich auch das nächstgelegene Krankenhaus
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