Scheibenwelt 02 - Narren Diebe und Vampire
verwirrenden und manchmal recht widersprüchlichen Politik des Reiches, das von der Hauptstadt Komplez aus regiert wurde, verdanken wir das heute gebräuchliche Wort »komplex«.
Als er nach Ankh-Morpork zurückkehrte, sprach er mit seiner Frau Lady de Murforte, die den Plänen ihres Mannes volle Unterstützung gewährte. Daraufhin änderte er sein Testament, um den größten Teil seiner Ländereien in der Sto-Ebene und den wichtigen Grundbesitz in Ankh-Morpork dem Projekt zu hinterlassen.
Die Arbeiten an der neuen Schule begannen 1511. Man holte Lehrer aus Klatsch, um die intelligenteren Akademiker und Psychopathen der Stadt in den Künsten zu unterrichten, die ein guter Assassine beherrschen musste. Die Fakultät sollte bei der Fertigstellung der Gebäude bereit sein. Wo heute das Gildenhaus steht, erhoben sich damals die Mauern eines Lagers für Schriftrollen und Bücher. Man riss es ab, um Platz zu schaffen für ein neues, großes Gebäude, das die Glorie der Schule widerspiegeln sollte.
Die »De-Murforte-Schule für vornehme Assassinen« wurde am 27. August 1512 offiziell von König Cirone II. eröffnet. Der erste Schulleiter war Professor Guillaume de Chacal. Er stammte von der renommierten Academie Quirmienne und gehörte nicht selbst zu den Assassinen, genoss aber den Ruf, wie kein anderer eiserne Disziplin zu halten und ein moralisches Leitbild zu sein. (Hier und dort wurden Stimmen laut, die behaupteten, es gäbe noch andere Leute, die ebenso diszipliniert wären wie er. Allerdings mangelt es an Beweisen.)
Zu Beginn hatte die Schule acht Lehrer und 72 Studenten, »Königsschüler« genannt. (Der König gewährte der Schule die Königliche Charta und einen kleinen Betrag für den Erwerb von Lehrbüchern, Waffen und anatomischen Karten. Zufälligerweise war sein ältester Sohn Cirone, Prinz von Llamedos, unter den ersten Schülern.) Die meisten Studenten wohnten im Gildenhaus und waren dort in Schlafsälen untergebracht. Aber einige bezogen Quartier in nahe gelegenen Häusern – deren Namen gingen auf die Codebezeichnungen in den Plänen des Architekten zurück.
Innerhalb weniger Jahre bewirkten königliche Schirmherrschaft und ausgezeichnete Prüfungsergebnisse der »Königlichen De-Murforte-Schule für vornehme Assassinen«, dass die reicheren Bürger der Stadt aufmerksam wurden. Sie verlangten, dass die Assassinengilde ihre Pforten auch für Schüler öffnen sollte, die sich ihren Lebensunterhalt später nicht unbedingt dadurch verdienen wollten, dass sie andere Leute umbrachten. Der König genehmigte eine diesbezügliche Erweiterung der Charta, die 24 Studienplätze für Kinder von Bürgern vorsah. Diese Studenten bezeichnete man als »externe Schüler« beziehungsweise »Oppidaner«, nach dem latatianischen Wort für »Städter«.
Die Schule erzielte einen Erfolg nach dem anderen. Im Laufe der Jahre stieg die Anzahl der Studenten und Lehrer, und viele Jungen wurden außerhalb des Schulgebäudes untergebracht, in Häusern, die von so genannten »Damen« geleitet wurden – man nannte sie so, weil sie große weiße Schlüpfer mit roten Punkten trugen und eine tanzende Kuh ihr Eigen nannten.
Im Jahr 1576 verliehen die Stadtältesten der Schule den Status einer Gilde, wodurch diese Stimmrecht im Gildenrat der Stadt bekam. Ihr Name lautete nun »Königliche Gilde der Assassinen«. Nach den Ereignissen von 1688 wurde das »Königliche« klugerweise gestrichen, und daraufhin sprach man nur noch von der »Assassinengilde«.
1767 glaubte der damalige Schulleiter, mit zwei Pärchen jedes andere Blatt schlagen zu können, was sich als Irrtum herausstellte. Als Folge davon ging der Grundbesitz des Gildengeländes an Sir John »Irrer Jack« Käsedick über und blieb fortan in der Käsedick-Familie. Lady Sybil Käsedick machte daraus ein Hochzeitsgeschenk für ihren Gemahl Sir Samuel Mumm, später Ihro Gnaden der Herzog von Ankh, zu dem die Gilde gute Beziehungen unterhält.
Derzeit bildet die Schule 72 Königsschüler (so nennt man sie noch immer), 180 externe Studenten und einige Stipendiaten aus, deren Anzahl im Laufe des Studiums abnimmt. Ansehen und Einfluss der Gilde sind nicht nur in Ankh-Morpork gewachsen, sondern überall auf der Scheibenwelt. Inzwischen lockt ihr guter Ruf auch Schüler aus Klatsch an.
Manchmal begegnen Assassinen während ihrer beruflichen Laufbahn Klienten, die sich als Ehemalige erweisen, und dann singen sie zusammen vor der Inhumierung einige Verse des alten Schullieds.
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