Scheinbar verliebt
schnappte sich Chuck das Mikro und trat nach vorne. Flippige Straßenkunst hing an den mokkafarbenen Wänden und dicke Kerzen brannten in großen gläsernen Windlichtern, die auf der Bühne standen. Wenn in der Mitte nicht ein riesiges Kreuz errichtet gewesen wäre, hätte es auch ein Starbucks sein können. Der hölzerne Gegenstand wirkte fast ein wenig fehl am Platz inmitten der E-Gitarrenklänge und dem gedimmten Licht.
Die Menschen im Raum wurden still, als Chuck seine Bibel öffnete und aus dem Lukasevangelium vorlas. Vor den Augen der Zuhörer ließ er die Geschichte von Jesu Versuchung lebendig werden.
„Jesus hatte vierzig Tage lang gefastet. Satan wusste genau, wann es Zeit war, ein kleines Schwätzchen mit ihm zu halten – gerade dann nämlich, als er am schwächsten war. Jesus war entkräftet und alleine, also ratet mal, was der große Betrüger tat.“
Chuck ging von der Bühne und trat in den Gang zwischen die Zuhörer. Sein Blick schweifte über die Reihen. „Für den Fall, dass es auch bisher noch keiner gesagt hat, sage ich es heute: Satan ist ein Lügner. Vielleicht belügt er euch jetzt gerade in diesem Moment. Und das Schreckliche ist, dass diese Lügen meistens einen Sinn ergeben. Glaubst du, dass du hässlich bist? Denkst du, du bist ein Verlierer?“ Chuck hielt inne. „Lügen. Alles Lügen. Meine Freunde, Satan ist ein Terrorist. Ein Bandenchef. Die Bibel sagt, dass er euch bestehlen, töten und zerstören will. Und wisst ihr was? Bei vielen von euch bekommt er auch die Gelegenheit dazu.“
Alex legte seine Hand in Lucys Nacken und massierte die verspannten Muskeln. Wie einfach wäre es, sich jetzt an ihn zu lehnen. Sie war müde und hatte den Streit zwischen ihnen satt. Insgesamt fühlte sie sich ausgelaugt. Überall, wo sie hinsah, wollte jemand etwas von ihr – die einen zu viel, die anderen zu wenig.
Chucks Schuhe quietschten auf dem Boden, als er durch den Gang schritt. „Dieser Typ stellt sich euch nicht als gehörntes Monster entgegen. Nein, er gibt sich wie ein netter Kerl. Habt ihr Angst vor Zurückweisung? Er wird das benutzen. Habt ihr vor irgendetwas anderem Angst? Das alles spielt ihm in die Hände.“
Schauer durchfuhren Lucy. Gott, sprichst du etwa zu mir – durch einen Highschoolgottesdienst?
Der Jugendpfarrer hielt seine abgenutzte, viel gelesene Bibel hoch in die Luft. „Das ist deine Waffe.“ Er ging zurück zur Bühne und zeigte auf das Kreuz. „Und das ist der einzige Zufluchtsort, an den du dich wenden kannst. Sag dem Teufel, dass du ihm lange genug zugehört hast. Es wird Zeit, dass du endlich Gottes Versprechen, dass du sein geliebtes Kind bist, auf dich wirken lässt. Du wirst wert geschätzt. Du verdienst es, geliebt zu werden.“
Du verdienst es, geliebt zu werden.
„Wenn wieder diese Stimme mit ihren Lügen in deinem Kopf auftaucht, behaupte einfach das Gegenteil. Sage ‚Ich bin schön. Ich bin erfolgreich. Ich meistere mein Leben gut‘. Gott sind dein Geld, dein sozialer Status, deine Kleider nicht wichtig.“ Chucks Stimme war voller Leidenschaft. „Hör auf, in den Spiegel zu schauen und dort nach der Wahrheit zu suchen. Hör nicht auf das, was deine Freunde meinen. Hör auf, Zeitschriften zu lesen und zu denken, dass das die Wirklichkeit ist. Sie lügen dich an. Du bist wertvoll, so wie du bist. Du wirst wirklich geliebt.“ Er sah noch einmal auf das Kreuz. „Wird es nicht Zeit, sich endlich so zu verhalten?“
Chuck wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch ab. „Willst du wissen, was dich zurückhält? Nicht das, was in deiner Tasche ist oder auch nicht. Es ist nicht deine Familie oder dein Gesicht. Es sind Lügen.“ Langsam ging er auf das Kreuz zu und berührte die raue Oberfläche. „Hier ist die Wahrheit. Jesus ist für dich gestorben. Nimm dieses Geschenk an.“
Lucy konnte nicht atmen. Ihr Puls hämmerte in ihren Ohren.
„Wisst ihr, welche Lüge ich lange geglaubt habe?“ Chuck lachte freudlos. „Ich heirate bald. Und seit ich meine wunderbare Frau kennengelernt habe, sagt Satan mir: ‚Du bist nicht gut genug für sie. Du bist zu arm. Zu dick. Zu langweilig.‘“ Seine Augen suchten Morgan, die in der ersten Reihe saß. „‚Du spielst nicht in der gleichen Liga und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie aufwacht und es bemerkt.‘ Am siebzehnten Juli werde ich der Ehemann einer richtig heißen Frau. Und ich werde Ja sagen, ohne diese Lügen im Hinterkopf zu haben.“ Chuck ging zu einem Tischchen, nahm sich einen
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