Scheinbar verliebt
beizusteuern, das war eindeutig nicht genug.
„Nein.“ Lucys Stimme klang abweisend. „Ich weiß schon alles, was wichtig ist.“
„Du bist mir natürlich zu nichts verpflichtet.“ Clares Gesicht mochte vom Chirurgen bearbeitet worden sein, aber im Moment sah man ihr jedes ihrer siebenundsechzig Jahre an. „Aber du schuldest es dir selbst, dass du ihm vergibst und deine Verbitterung loslässt. Und vielleicht … kannst du auch mir eines Tages vergeben.“
Es gab im Moment zu viel, das in Lucys Kopf um Aufmerksamkeit schrie.
„Alles, worum ich dich bitte, ist, dass du ihn nicht hasst“, sagte Clare. „Er hat ein verschwenderisches Leben geführt. Das war meine Schuld.“
„Nein.“ Lucy erhob sich. „Du bist ein wunderbarer Mensch, Clare.“ Da. Jetzt hatte sie es gesagt. „Du hast ihn als Kind wahrscheinlich nicht oft genug auf die Nase fallen lassen, aber ab einem gewissen Punkt hätte er die Verantwortung für sein Leben selbst in die Hand nehmen müssen. Er hatte hunderte Chancen, mich zu erreichen. Aber das hat er nie getan. Und das ist nicht deine Schuld.“
„Findest du mich wirklich … wunderbar?“
Lucy konnte die Worte nicht über die Lippen bringen, die Clare gerne gehört hätte. „Du hast dich weiterentwickelt.“ Sie verzog ihre Lippen zu einem schiefen Grinsen. „Sehr gut weiterentwickelt.“
„Eines Tages … kannst du mir hoffentlich verzeihen.“
Lucy wusste nicht, was sie sagen sollte. In ihrem Kopf hatte sie Clare längst vergeben, aber in ihrem Herzen war immer noch diese schreckliche Bitterkeit. Sie und Clare waren eine seltsame Allianz eingegangen – lebten zusammen, arbeiteten zusammen –, aber eine Freundschaft war zwischen ihnen noch nicht entstanden.
Mit einem Schnauben hob Clare ihre Nase und winkte dann ab. „Wie auch immer, neues Thema.“
„Ich weiß.“ Lucy überflog vor ihrem inneren Auge ihren Terminkalender. „Ich habe am Dienstag ein Teetrinken mit dem Alphabetisierungsverein und am Mittwoch das Treffen mit der Landgenossenschaft.“
„Darüber wollte ich gar nicht reden“, erwiderte Clare. „Ich will über dich und Alex reden. Ich habe bemerkt, dass sich in dieser Woche einige Probleme aufgetan haben.“
Der Kaffee schmeckte bitter auf ihrer Zunge. „Es gibt keine Probleme. Nichts hat sich aufgetan.“
Clare hob ihre dünnen Augenbrauen. „Egal, was du von mir denkst, blind bin ich nicht. Ich habe gemerkt, dass du sehr nervös warst. Zuerst dachte ich, du würdest einfach deinen zukünftigen Mann vermissen.“ Sie durchbohrte Lucy mit ihren Falkenaugen. „Doch dann hat mir ein Vögelchen gezwitschert, dass du seine Anrufe nicht annimmst.“
„Ein Vögelchen?“, fragte Lucy. „Oder ein Verräter namens Julian?“ Weitere Einladungen zu den Hobbit-Meetings konnte er vergessen.
„Ich glaube, wir haben die Wichtigkeit von Diskretion bereits in Woche zwei besprochen“, sagte Clare. „Ich gebe meine Quellen nicht preis.“
„Zwischen Alex und mir ist alles in Ordnung.“
„Irgendetwas fehlt. Habt ihr euch gestritten? Eine Meinungsverschiedenheit? Ich frage nur, weil es wichtig ist, dass ihr ein glückliches, vereintes Paar repräsentiert. Du denkst vielleicht, du könntest die Welt hintergehen, aber das kannst du nicht.“
Na ja, eigentlich machten sie doch einen ganz guten Job.
„Hat er dich verletzt?“ Auf Clares Gesicht stand ehrliches Mitgefühl und Lucys Herz schmerzte. „Denn das würde ich nicht zulassen. Er sollte froh sein, dich zu haben. Du bist ein Diamant unter den Edelsteinen und jeder Mann sollte Gott danken, der dich in seinem Leben haben darf.“
Jetzt war Lucy diejenige, die wie vor den Kopf gestoßen war. Der Blick in Clares Augen war grimmig und unerbittlich.
„Ich neige nicht zu Übertreibungen“, fuhr sie fort. „Du bist klug, freundlich und wundervoll zu deinen Mädchen. Auch wenn ich deine Lesegewohnheiten etwas seltsam finde, glaube ich, dass Alex derjenige ist, der am meisten von eurer Vereinbarung profitiert.“
Lucy konnte die alte Standuhr im Wohnzimmer schlagen hören. „Sei nicht albern.“ Doch Clares Worte gruben sich in ihr Herz und brachten sowohl Schmerz als auch Freude. Sie wollte dem Bild glauben, das Clare soeben gezeichnet hatte.
„Ich mache keine Witze. Du verdienst den allerbesten Mann. Deine Mutter hat eine wundervolle Frau großgezogen und es schmerzt mich, dass du mein Lob nicht annimmst.“
Und Lucy verstand, dass Clare recht hatte. Die Mädchen in Saving Grace hatten nicht
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