Scheinbar verliebt
Buch und seine Augen flogen über die Verse, die sein Bruder markiert und zu denen er sich Notizen gemacht hatte. Alex konnte Will fast körperlich spüren.
Schließlich kam er an eine Stelle, an der ein ausgefranstes blaues Lesebändchen lag. Das Buch Lukas, von einem Arzt und Heiler geschrieben. Sein Bruder hatte diese Seiten verinnerlicht und sie auswendig gelernt.
Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.
Worte, die Will mit Rot umrahmt hatte. Und die er gelebt hatte.
Jesus, ich habe den Lügen zu lange zugehört. Sie haben meinen Verstand erfüllt und mich auf einen Weg geführt, der mich nicht weiterbringt. Ich habe so lange geglaubt, was Satan mir eingeflüstert hat, bis ich kaum mein eigenes Spiegelbild wiedererkannt habe. Es brauchte Wills Tod und Lucys harte Worte, damit ich erkennen konnte, wie ich meine Prioritäten setzen muss.
Ich will für dich leben, Jesus.
Ich will … endlich leben.
„Schnallen Sie sich bitte an“, gab der Pilot durch. „Wir sind bereit zum Start.“
* * *
Neun Stunden in einem Auto.
Lucys Nerven waren zum Zerreißen gespannt – und ihr Gesäß war taub. In der Dunkelheit des neuen Tages lenkte sie ihren Wagen mit einem Gebet auf den Lippen in den Busbahnhof. Wieder griff sie nach ihrem Handy und versuchte, Marinell zu erreichen. Immer noch keine Antwort. Genauso musste sich Alex fühlen. Ihrem Display nach zu urteilen, hatte er sie schon über zwanzig Mal angerufen. Und sie hatte nicht einmal abgenommen.
Doch es war für sie durchaus eine Versuchung gewesen, seinen Anruf entgegenzunehmen und ihm zu erzählen, was vor sich ging. Seine tiefe Stimme zu hören, die ihr versprach, dass er alles regeln würde.
Aber sie konnte es nicht. Sie konnte nicht zu ihm rennen, nur weil sie Angst hatte und jemanden brauchte, der ihr die Probleme aus dem Weg räumte.
Ihre flachen Schuhe klatschten auf den Asphalt, als sie auf die Greyhoundstation zurannte. Obwohl es jetzt schon fast achtundzwanzig Grad warm war, hatte Lucy eine Gänsehaut und versuchte, sich nicht auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Die alten Gebäude schienen sich über sie zu beugen und sie aus der Dunkelheit heraus genau zu beobachten.
Sie riss die Eingangstür zur Busstation auf.
Und sah Alex Sinclair.
Lucy blinzelte zweimal, um sicher zu sein, dass sie keine Vision hatte. Doch dort saß er, auf einem abgenutzten blauen Stuhl, die Ellenbogen auf die Knie gestützt. Und seine braunen Augen ruhten auf ihr.
Erleichterung umspülte jede Zelle ihres Körpers. Ihr sicherer Hafen war nur noch wenige Schritte entfernt.
Doch ebenso ihr Schmerz.
Es tat weh, ihn anzusehen.
„Was machst du hier?“ Sie versuchte, ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen.
Er sprang auf. „Ich warte auf dich.“
Die Erschöpfung sorgte dafür, dass sie nicht richtig nachdenken konnte. „Warum?“
„Ich wollte einfach einen kleinen Rundflug unternehmen.“
„Clare hat dich angerufen.“ Langsam setzte sich das Puzzle in ihrem Kopf zusammen. „Alex, die Debatte –“
„Hast du wirklich geglaubt, ich würde dich alleine lassen?“
Sie sah auf die Uhr an der Wand. Nach allem, was sie für die Wahl durchgemacht hatten, ließ er die wichtigste Veranstaltung ausfallen? „Was denkst du dir denn dabei – einfach so zu verschwinden? Nach allem, was du in diese Kampagne investiert hast? Nach allem, was ich in diese Kampagne investiert habe!“ Sie grub ihren Zeigefinger in seine Brust. „Ich habe Hosenanzüge für dich getragen!“
„Wenn hier jemand eine Erklärung schuldig ist, dann ja wohl du.“ Alex versuchte nicht einmal, seine Stimme zu dämpfen. „Du willst Marinell helfen, einen Mann zu finden, auf den die Drogenbosse eine Todesstrafe ausgesetzt haben? Dachtest du, dass es in Ordnung ist, einer Achtzehnjährigen hinterherzufahren, um eine wandelnde Zeitbombe nach Charleston zu bringen?“
Lucy blinzelte wieder. „Ist dir aufgefallen, dass ich schreckliche Klamotten für dich tragen musste?“
„Ich liebe dich, Lucy.“
Ihre Augen wurden groß und sie trat einen Schritt zurück. „Tu das nicht, Alex.“
„Ich weiß, dass das hier weder der richtige Ort noch die richtige Zeit ist, aber du musst wissen, dass ich verrückt nach dir bin. Ich hatte unrecht. Die ganze Zeit über hatte ich unrecht und es tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, um die Wahrheit zu erkennen.“
Diese Worte brachten ihr Herz ins Schlingern, doch ihr Verstand machte dicht. „Aber du hattest recht“, sagte sie leise.
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