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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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aber so läuft das nun mal.
    Der blonde Mann sah sich rasch im Zimmer um, und sein Blick heftete sich auf Regina, die friedlich zwischen den Sofakissen schlief. Sofort richtete er die Waffe auf das Baby, und die Panik fuhr Jane ins Herz wie ein Messerstich.
    »Kein Wort«, sagte er zu Jane. Er wusste genau, wie er sie in Schach halten, wie er eine Mutter an ihrem empfindlichsten Punkt treffen konnte. »Wo ist die Hure?«, fragte er Lukas.
    »Auf dem Klo. Ich hole sie.«
    Es ist zu spät, um Mila zu warnen, dachte Jane. Ich könnte schreien, aber sie hätte trotzdem keine Chance zu entkommen.
    »Also, Sie sind diese Polizistin, von der ich gehört habe«, sagte der blonde Mann.
    Die Polizistin. Die Hure. Kannte er noch nicht einmal die Namen der beiden Frauen, die zu töten er im Begriff war?
    »Ich heiße Jane Rizzoli«, sagte sie.
    »Falsche Zeit, falscher Ort, Detective.« Er kannte also doch ihren Namen. Natürlich, ein Profi musste so etwas wissen. Er wusste auch, dass er besser einen respektvollen Abstand einhielt, weit genug von ihr entfernt, um reagieren zu können, sollte sie eine plötzliche Bewegung machen. Doch auch ohne Waffe wäre er ein Mann, mit dem sie es nicht so leicht hätte aufnehmen können. Seine Haltung, die nüchterne, abgeklärte Art, wie er die Kontrolle übernommen hatte, verrieten ihr, dass sie gegen ihn auch dann keine Chance gehabt hätte, wenn er nicht bewaffnet gewesen wäre.
    Aber er war bewaffnet …
    Sie blickte auf den Boden. Wo hatte sie nur die Windeltasche abgestellt? War sie hinter dem Sofa? Sie konnte sie nicht sehen.
    »Mila?«, rief Lukas durch die geschlossene Toilettentür.
    »Alles in Ordnung da drin?«
    Regina erwachte mit einem Ruck und ließ ein nervöses Wimmern vernehmen, als ob sie spürte, dass etwas nicht stimmte. Dass ihre Mutter in Schwierigkeiten war.
    »Lassen Sie mich das Kind auf den Arm nehmen«, sagte Jane.
    »Es ist ganz gut da aufgehoben, wo es ist.«
    »Wenn ich sie nicht auf den Arm nehme, wird sie anfangen zu schreien. Und vom Schreien versteht sie etwas.«
    »Mila?« Lukas klopfte jetzt an die Toilettentür. »Machen Sie schon auf! Mila!«
    Wie Jane vorausgesagt hatte, begann Regina zu heulen. Jane sah den Mann an, und schließlich nickte er. Sie hob das Baby auf, aber ihre Nähe schien Regina nicht trösten zu können.
Sie kann spüren, wie mein Herz klopft. Sie kann meine Angst spüren.
    Im Flur waren laute Schläge zu hören, dann ein Krachen, als Lukas die Tür aufbrach. Sekunden später kam er mit hochrotem Kopf wieder ins Wohnzimmer gestürzt. »Sie ist weg!«
    »Was?«
    »Das Klofenster ist offen. Sie muss rausgeklettert sein.«
    Der blonde Mann zuckte nur mit den Achseln. »Dann werden wir sie eben ein andermal schnappen. Worauf es ihm ankommt, ist vor allem das Video.«
    »Wir haben es.«
    »Sind Sie sicher, dass es die letzte Kopie ist?«
    »Es ist die letzte.«
    Jane starrte Lukas an. »Sie wussten schon von dem Video.«
    »Haben Sie eine Ahnung, wie viel Schrott man als Journalist jeden Tag zugeschickt bekommt, ohne dass man darum gebeten hätte?«, fragte Lukas. »Wie viele Verschwörungstheoretiker und paranoide Spinner da draußen rumlaufen, die unbedingt die Welt von ihren Wahnideen überzeugen wollen? Ich habe diesen einen Artikel über Ballentree geschrieben, und plötzlich war ich der beste Freund sämtlicher Joseph Rokes in diesem Land. Diese Psychopathen glauben alle, wenn sie mir von ihren albernen Wahnideen erzählen, werde ich eine große Story daraus machen. Ich soll für sie die Rolle von Woodward und Bernstein im Watergate-Skandal übernehmen.«
    »So sollte es aber funktionieren. Das ist doch eigentlich die Aufgabe eines Journalisten.«
    »Kennen Sie vielleicht irgendeinen reichen Reporter? Wie viele Namen von Zeitungsjournalisten können Sie aufzählen, wenn Sie einmal von den wenigen Superstars absehen? Die Wahrheit ist den Leuten letztlich scheißegal – so sieht es aus. Ja, ein paar Wochen lang kann man das Interesse der Öffentlichkeit vielleicht wach halten. Ein paar Titelstorys, ein paar Schlagzeilen wie
Direktor des Nationalen Geheimdiensts unter Mordanklage.
Das Weiße Haus würde sich angemessen entsetzt zeigen, Carleton Wynne würde sich schuldig bekennen, und dann würde die Sache den Weg aller Skandale gehen, die Washington bisher erlebt hat. Nach ein paar Monaten hätten die Leute die ganze Geschichte vergessen. Und ich würde mir weiter meine Kolumne aus den Fingern saugen, würde weiter meine Hypothek

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