Scheintot
und sie zittert.
»Hier entlang«, befiehlt der Fahrer und geht voran. Er biegt von der Schotterstraße ab und folgt einem Pfad, der hinauf in die Berge führt. Wir klettern um Felsbrocken herum, vorbei an Dornbüschen, die nach unseren Beinen krallen. Anja trägt offene Schuhe, und sie muss oft stehen bleiben, um die spitzen Steinchen hinauszuschütteln. Wir sind alle durstig, aber die Männer lassen uns nur einmal anhalten, um Wasser zu trinken. Dann geht es weiter; wie unbeholfene Ziegen klettern wir den steinigen Pfad hinauf. Wir erreichen den Hügelkamm und schlittern auf der anderen Seite bergab, auf eine Baumgruppe zu. Erst als wir unten ankommen, sehen wir, dass wir vor einem ausgetrockneten Flussbett stehen. Am Ufer verstreut liegen die Hinterlassenschaften derjenigen, die vor uns die Grenze überquert haben: Plastikwasserflaschen, eine schmutzige Windel und ein alter Schuh, der Kunststoff rissig vom Liegen in der prallen Sonne. An einem Ast flattert ein Fetzen einer blauen Zeltplane. So viele Träumer sind schon hier entlanggekommen, und wir sind sieben weitere, die ihren Fußstapfen in Richtung Amerika folgen. Plötzlich verfliegt meine Angst, denn der Müll, der hier herumliegt, ist der Beweis dafür, dass es nicht mehr weit sein kann.
Die Männer winken uns weiter, und wir machen uns daran, das gegenüberliegende Ufer zu erklimmen.
Anja zieht an meinem Arm. »Mila, ich kann nicht weitergehen«, flüstert sie.
»Du musst.«
»Aber mein Fuß blutet.«
Ich blicke auf ihre wunden Zehen hinunter, sehe das Blut, das aus der zarten Haut quillt, und rufe den Männern zu: »Meine Freundin hat sich den Fuß aufgeschnitten!«
»Ist mir egal«, sagt der Fahrer. »Los, weitergehen.«
»Wir können nicht weitergehen. Sie braucht einen Verband.«
»Entweder geht ihr jetzt weiter, oder wir lassen euch beide zurück.«
»Geben Sie ihr wenigstens Zeit, sich andere Schuhe anzuziehen!«
Der Mann dreht sich um. In diesem Augenblick geht eine Verwandlung mit ihm vor. Sein Blick lässt Anja ängstlich zurückweichen. Die anderen Mädchen stehen stocksteif und mit weit aufgerissenen Augen da, wie Schafe, die sich furchtsam zusammendrängen. Er kommt langsam auf mich zu.
Der Schlag trifft mich so plötzlich, dass ich ihn nicht kommen sehe. Plötzlich knie ich auf der Erde, und ein paar Sekunden lang ist alles dunkel. Dann registriere ich den Schmerz, das Pochen in meinem Kiefer. Ich schmecke Blut. Ich sehe es in leuchtend roten Spritzern auf die Steine im Flussbett tropfen.
»Steh auf. Los, steh auf! Wir haben schon genug Zeit verloren!«
Ich rappele mich schwankend auf. Anja starrt mich entsetzt an. »Mila, gib einfach Ruhe!«, flüstert sie. »Wir müssen tun, was sie uns sagen! Meine Füße tun auch gar nicht mehr weh, ehrlich. Ich kann gehen.«
»Habt ihr’s jetzt endlich kapiert?«, sagt der Mann zu mir. Er dreht sich um und mustert die anderen Mädchen mit finsterem Blick. »Habt ihr gesehen, was passiert, wenn ihr mich auf die Palme bringt? Wenn ihr mir so frech kommt? Jetzt geht endlich weiter!«
Und plötzlich haben es alle Mädchen sehr eilig, das Flussbett zu durchqueren. Anja packt meine Hand und zerrt mich weiter. Ich bin zu benommen, um mich zu wehren, und so stolpere ich hinter ihr her, schlucke das Blut hinunter. Ich kann den Pfad vor uns kaum sehen.
Es ist nur noch ein kurzes Stück. Wir erklimmen die Uferböschung auf der anderen Seite, schlängeln uns zwischen ein paar Bäumen hindurch, und plötzlich stehen wir wieder auf einer Schotterstraße.
Dort parken zwei Kleinbusse; sie haben auf uns gewartet.
»Stellt euch in einer Reihe auf«, sagt unser Fahrer. »Los, beeilt euch. Sie wollen euch in Augenschein nehmen.«
Die Aufforderung verwirrt uns, aber wir stellen uns dennoch nebeneinander auf, sieben erschöpfte Mädchen mit schmerzenden Füßen und staubigen Kleidern.
Vier Männer steigen aus den Bussen und begrüßen unseren Fahrer auf Englisch. Es sind Amerikaner. Ein korpulenter Mann schreitet langsam unsere Reihe ab und beäugt uns. Er trägt eine Baseballkappe und sieht aus wie ein sonnengebräunter Farmer, der seine Kühe inspiziert. Vor mir bleibt er stehen und betrachtet stirnrunzelnd mein Gesicht.
»Was ist denn mit der hier passiert?«
»Ach, die – die ist frech geworden«, antwortet unser Fahrer. »Ist bloß ein blauer Fleck.«
»Die ist sowieso zu dürr. Wer will denn schon so eine?«
Weiß er, dass ich Englisch verstehe? Interessiert ihn das überhaupt? Ich bin
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