Scheiss dich nicht an - Lebe
Sonne – zwängt sich das mahnende Geläute vom Pfarrer um seinen Schädel und schnürt sich immer noch enger darum herum, sodass der Biermösel bald nicht mehr normal schauen kann. Der Glockendonner breitet sich in der lauen Frühlingsluft überallhin aus und drängt sich samt schlechtem Gewissen sogar schon in die abgehärtete, weil gut geselchte Seele vom Biermösel hinein, was für die wenigsten zu erwarten war:
„Ich geb es ja zu!“, schreit er verzweifelt, „dass ich anders darüber denken könnte, wie ich die Anni packen will, aber hör endlich auf zum Läuten!“
Dabei hätte ja keiner jemals gemerkt, dass der Hasenscharten-Ulf überhaupt verschwunden ist, wenn nicht ab der vierten Fastenwoche auf einmal das Läuten so eine andere Tönung angenommen hätte, so eine furchtbare Färbung. Wie im Bierzelt, wenn dann nur noch die Besoffensten von den Rauschigsten in die Hände patschen und klatschen, hat sich das Bimbambum auf einmal angehört, wie wenn vorher ein Mensch geläutet hätte und jetzt ein Affe.
Den Hasenscharten-Ulf hat ja nie einer lebend gesehen, außer der Pfarrer Hein selbst natürlich, der ihn in den Glockenturm hinaufgeholt hat, damals vor 15 Jahren, nachdem er ihn aus dem Missgeburtenheim 0-5 Jahre drüben in Goisern zu sich herüber nach Aussee geholt hat, das weiß auch ein jeder, der sich ein bisserl mit Hasenscharten beschäftigt.
Niemand kann heute was Genaues über den Hasenscharten-Ulf sagen, außer natürlich, dass seine Lippen furchtbar gespalten waren („ganz furchtbar!“) und dass er die Glocken wirklich recht ordentlich geläutet hat („Respekt, Respekt!“), das muss sogar der Biermösel ihm zugestehen, auch wenn er natürlich mit zunehmendem Alter ein Ortsbild ohne Kirchturm samt Glocken drinnen vorziehen täte.
Solche Glocken sind ja nicht einfach zu läuten! Mit Betglocke, Kreuzglocke, Taufglocke, Schiedglocke, Zeichenglocke, Sonntagsglocke und Festtagsglocke muss sich ein Glöckner herumplagen, und dann kommt in diesem speziellen Fall noch die neu gespendete und erst vor ein paar Wochen aufgehängte Riesenglocke vom Tripischovski drüben aus Ischl hinzu, die es erst recht in sich hat. Der Lodenkönig a. D. hat dem Pfarrer Hein sein Kunstwerk von einer Glocke mit dem Tieflader herüberbringen und dann mit dem Schwertransporterkran aufhängen lassen, kurz bevor der Ländliche Bote seinen vollkommenen Rückzug aus der Lodenproduktion bekanntgegeben und seine endgültige Hinwendung zur Kunstfaser und zum amerikanischen Markt verkündet hat, deswegen das a.D. nach dem Lodenkönig.
Die Tripischovski-Glocke jedenfalls ist ein solches Monster von einer Glocke, steht in der Ausschreibung, die der Pfarrer Hein jetzt jeden Sonntag in schmetterndem Fiepsmäusebariton von der Kanzel herunter verteilt, dass der, der sie läuten will, schon von Gott gesandt sein muss, sonst geht es überhaupt nicht! So groß, so massiv, so furchteinflößend laut und mahnend donnergrollend ist die Tripischovski-Glocke, dass an ihr jeder scheitern wird, der nicht von Gott gesandt ist oder wenigstens 100 Kilo auf die Waage bringt, „Du Fettsau von der Seebachwirtin da unten!“, hat er neulich von der Kanzel herunter gepredigt und auf die Fettsau Elfriede von der Seebachwirtin da unten gedeutet, „du hättest vielleicht das Zeug dazu, aber du bist schon wieder zu fett, du kommst mir ja nicht einmal in den Turm hinauf, geschweige denn wieder herunter, also was hältst du von einer bis zwei ausgedehnten Fastenzeiten, ansonsten ewiges Höllenfeuer, so wie du Fettsau nämlich ausschaust, wirst du einmal schön brutzeln am Gartengrill vom Luzifer, Prostmahlzeit, äh, ich meine: Jubilate Deo!“
So hat er gepredigt.
Dass der Pfarrer Hein heute sogar schon ein Rotzmäderl aus der Dörflichen Jugend ins Visier nehmen muss, damit ihm irgendwer die Glocken läutet, liegt daran, dass sich von den armen Rotzbuben aus der Dörflichen Jugend justament keiner mehr bei ihm wegen der Glockenläuter-Lehre anstellen will, es gibt keinen Einzigen, den der gewagte Schritt in die vielleicht sowieso allzu großen Fußstapfen vom Hasenscharten-Ulf reizen täte.
Stattdessen rennen die armen Rotzbuben von der Dörflichen Jugend allesamt mit zusammengezwickten Arschbacken vorm Pfarrer Hein davon und halten schützend die Hände gegen den Hosenboden, sobald er sie nur darauf anredet, ob der eine oder andere von ihnen ihm zu Ostern vielleicht die Glocke läuten und so seinem Leben einen tieferen Sinn geben möchte,
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