Schenk mir deinen Atem, Engel ...
„Nein.“
„Aber warum bin ich dann hier?“
„Weil die Angeli uns hergebracht haben. Uns alle. Dich, Will, deine Eltern – und mich. Wir dürfen bei ihnen bleiben, bis sie einen Weg gefunden haben, Will dauerhaft zu beschützen.“
Faith atmete tief durch. Das war alles ein bisschen viel auf einmal. Mehr, als sie auf die Schnelle verarbeiten konnte.
Will war in Sicherheit, das war gut. Und ihre Eltern waren bei ihm, was noch viel besser war. Es würde ihm die Sache leichter machen. Zumindest hoffte Faith, dass es so war.
Aber was war mit ihr? Wieso lebte sie noch? Und selbst wenn sie wie durch ein Wunder überlebt hatte – wie konnte sie unverletzt sein?
Du lebst, weil ich dich brauche … Weil ich nicht zulassen konnte, dass du von mir gehst …
Es war Jakes Stimme, die sie in ihrem Kopf hörte. Nein, nicht hörte. Fühlte.
Weil ich dich liebe, Faith …
„Was ist passiert?“, fragte sie noch einmal und musterte ihn eindringlich. „Du hast mich gerettet, oder?“ Sie spürte, dass etwas vorgefallen war. Dass er etwas getan hatte. Etwas sehr, sehr Törichtes. „Ich war tot, aber du hast mich zurückgeholt. Wie kann das sein?“
„Er hat dir seinen göttlichen Atem eingehaucht“, erklang eine Stimme ganz in der Nähe.
Faith blickte sich um und sah ein Wesen, das völlig in goldenes Licht gehüllt war. Ein Cherub, erinnerte sie sich. Die Vermittler zwischen Gott und den Menschen.
„Was bedeutet das?“ Verständnislos schüttelte sie den Kopf und schaute zwischen dem Engel und Jake hin und her.
Der Cherub lächelte gütig. „Das heißt, dass Jacobus für dich das aufgegeben hat, was ihm am meisten bedeutete: die Chance auf eine dauerhafte Rückkehr hierher.“ Er machte eine alles umfassende Geste. „Ins Elysium. Er ist jetzt ein Mensch, so wie du. Er hat sämtliche ihm verbliebenen Fähigkeiten und Kräfte aufgegeben, nur um dein Leben zu retten.“
„Aber …“ Faith schluckte hart. Tränen standen ihr in den Augen. „Warum?“ Jakes Opfer erschien ihr so schrecklich sinnlos. Er hatte seine Unsterblichkeit, seine Kräfte, seinen großen Traum aufgegeben, nur um mit ihr zusammen zu sein. Doch wie lange würde das sein? Fünf Jahre? Maximal zehn? „Du hättest das nicht tun dürfen“, flüsterte sie. „Nicht für mich. Ich werde sterben, und du wirst mich dafür hassen, meinetwegen alles aufgegeben zu haben. Du …“
Jake umschloss ihr Kinn mit Daumen und Zeigefinger und hob ihr Gesicht an. „Du wirst nicht sterben“, sagte er sanft. „Eines Tages, ja – aber nicht an dieser Krankheit, Faith, hörst du?“
Irritiert schaute Faith ihn an. Dann horchte sie tief in sich hinein und suchte nach einem Anzeichen der Mukoviszidose – dem vertrauten Engegefühl in der Brust, einem Kratzen oder Hustenreiz – doch da war nichts.
Sie atmete tief durch. Vielleicht zum ersten Mal in ihrem ganzen Leben. Dann nahm sie Jakes Hand und führte sie an ihre Lippen. „Danke“, flüsterte sie zutiefst ergriffen. „Ich danke dir, Jake.“
Er lächelte. „Nein, ich habe dir zu danken“, erwiderte er, und sie sah Tränen in seinen wunderbaren grauen Augen. „Über hundert Jahre lang bin ich blind durch diese Welt geirrt, unfähig zu sehen, was sich unter der Oberfläche verbirgt. Erst du hast mir die Augen dafür geöffnet, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Ich hätte dich nicht sterben lassen, selbst wenn es mir nur einen weiteren Tag mit dir verschafft hätte, Faith. Denn ein einziger Tag mit dir ist mir wertvoller als eine Unendlichkeit ohne dich.“
Dann küsste er sie, und endlich fielen auch die letzten Zweifel von Faith ab. Sie wusste, dass er die Wahrheit sagte, denn sie empfand ebenso wie er. Und sie würde von nun an jede Minute wie ein kostbares Geschenk behandeln.
Ein Geschenk der Liebe.
Ein Geschenk von Jake.
– ENDE –
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