Schenk mir diese Nacht
nicht getan!
Ihre Mutter lächelte erfreut. "Darf ich erfahren, wer Jarrett, Abbie und Conor sind?" erkundigte sie sich. "Und natürlich auch Charlie."
Gaye hatte nur sehr wenig über Jonathan und gar nichts über seine Familie erzählt, weil sie vermeiden wollte, dass ihre Mutter voreilige Schlüsse zog. Amüsiert lauschte sie daher Jonathans Bericht, der seinen älteren Bruder als Sklaventreiber beschrieb, dessen schöne Frau Abbie die Geduld einer Heiligen besaß. Dann schwärmte er von den Vorzügen ihres
neugeborenen Sohnes und der bezaubernden kleinen Charlie.
Jordan nannte er einen unverbesserlichen Quälgeist.
"Machen Sie Ihre liebenswerte Familie nicht schlecht, Jonathan", ermahnte ihn Marilyn. "Terence und ich wollten immer..." Sie verstummte und blickte sekundenlang verwirrt drein. "Wir haben stets bedauert, dass wir Gaye keinen Bruder oder Schwester schenken konnten", fuhr sie fort. "Es wäre viel schöner für Gaye gewesen. Haben Sie Kinder, Benjamin?"
Gaye stockte der Atem. Ben hatte einen Sohn gehabt, und der war gestorben. Verstohlen schaute sie zu Jonathan hinüber, doch dessen Blick ruhte unverwandt auf Ben.
"Ich hatte einen Sohn, Marilyn", erwiderte Ben ohne Zögern.
"Leider wurde er mit einem Herzfehler geboren. Ich möchte Sie nicht mit den Details langweilen, aber nach etlichen Operationen konnte er ein mehr oder weniger normales Leben führen. Für seine Mutter war all das jedoch zuviel. Sie konnte sich nicht damit abfinden, dass er nicht vollkommen war, und als Sam drei Jahre alt war, verließ sie uns."
"O Benjamin ..." Marilyn seufzte. "Wie furchtbar für Sie beide! Aber sagten Sie nicht, Ihr Sohn sei gestorben?" Die letzten Worte kosteten sie sichtlich Überwindung.
Ben nickte. "Sam führte ein ruhigeres Leben als die meisten anderen Kinder, trotzdem glaube ich, dass er glücklich war ..."
"Sehr glücklich", warf Jonathan leise ein. "Sam war mein bester Freund", fügte er an Marilyn gewandt hinzu.
Schmerz. Es bereitete den Männern unverkennbar großen Kummer, über den jungen Mann zu sprechen, der ihnen beiden viel bedeutet hatte.
Besorgt sah Gaye zu ihrer Mutter hinüber, obwohl sie genau wusste, was Ben vorhatte. Gestern beim Lunch hatte er ihr alles genau erklärt. Ihre Mutter hatte sich während der letzten beiden Jahre erfolgreich gegen jeden emotionalen Schmerz
abgeschottet und alles Unangenehme oder Traurige ignoriert.
Ohne Marilyn mit ihrem eigenen leidvollen Verlust zu konfrontieren, wollte Ben sie schrittweise an das Gefühl heranführen, dem sie so hartnäckig auswich: Schmerz. Gaye hatte allerdings nicht geahnt, dass er dabei über seinen persönlichen Kummer sprechen würde.
"Wie so viele Kinder mit einer Behinderung war auch Sam sehr intelligent. Mit zweiundzwanzig hatte er bereits sein Studium absolviert und bereitete sich gerade auf die Prüfungen vor, als er von einem vorbeirasenden Auto erfasst und getötet wurde."
Er sprach ohne die geringste Bitterkeit, aber die Wirkung seiner Worte auf Gayes Mutter war verblüffend. Plötzlich war ihr schönes Gesicht von Kummer geprägt, ihre Augen glichen violetten Schatten.
Sie hatte sich jedoch sofort wieder in der Gewalt. Ihre Miene spiegelte jetzt Bedauern und Mitgefühl wider. Der Wandel ging so schnell vor sich, dass Gaye fast meinte, sie hätte sich alles nur eingebildet. Aber nur fast...
"Es tut mir so Leid, Benjamin." Marilyn berührte seinen Arm. "Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie es ist, das eigene Kind zu verlieren."
"Hoffen wir, dass Sie es nie herausfinden." Benjamin drückte leicht ihre Hand, bevor er sieh Gaye und Jonathan zuwandte.
"Es ist Zeit zum Aufbruch." Um seine Lippen lag zwar wieder ein Lächeln, doch seine Augen waren ernst.
"Er ist für einen Moment zu ihr durchgedrungen, oder?"
meinte Jonathan, als er und Gaye zum Restaurant fuhren. Ihre Mutter folgte mit Ben in dessen Mercedes.
Gaye war sich über Jonathans Stimmung noch immer nicht im Klaren. Er benahm sich so sonderbar, irgendwie distanziert, und sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Mit seiner spöttischen oder arroganten Art konnte sie umgehen, aber diese Zurückhaltung war etwas ganz anderes.
"Ja, ich glaube, das ist ihm gelungen." Sie zögerte. "Es tut mir so Leid um deinen Freund, Jonathan. Und um Ben ... Ich kann mir genauso wenig wie meine Mutter vorstellen, wie es für ihn gewesen sein muss."
"Sam war sein Lebensinhalt", sagte Jonathan leise. "Nachdem seine Frau sie verlassen hatte, musste Ben Sam auch die
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