Schenk mir nur eine Nacht
Hotel Europa", antwortete Alan hoffnungsvoll. "Es ist glücklicherweise nicht weit vom Plaza, gleich um die Ecke."
"Wie günstig!" Luis lächelte, und wenn Alan es hätte sehen können, wäre er sicher zu Eis erstarrt. "Wie viele seid ihr, Alan?"
"Zweiunddreißig insgesamt."
"Ich kann dir einen Bus beschaffen und ihn morgen früh zum Hotel bringen lassen ..."
"Wunderbar! Ich wusste doch, wenn jemand uns helfen könnte, dann du", unterbrach Alan ihn dankbar.
"Unter einer Bedingung."
Sekundenlang schwieg Alan. "Unter welcher?" fragte er schließlich angespannt.
Wahrscheinlich ist er nicht anders als seine Schwester und hat mich immer nur ausgenutzt, überlegte Luis. Für einen Reiseveranstalter, der sich auf Südamerika spezialisiert hatte, brachte es nur Vorteile, mit einem Einheimischen befreundet zu sein, der über gute Verbindungen, und Beziehungen verfügte.
"Shontelle muss zu mir in die Suite im Plaza kommen und persönlich mit mir verhandeln", erklärte er ruhig. "Je eher, desto besser für dich."
"Das meinst du doch nicht ernst!" stieß Alan hervor. "Es ist Ausgangssperre, und Panzer fahren durch die Straßen. Überall stehen Soldaten herum, mit dem Finger am Abzug. Es ist viel zu gefährlich für eine Frau, Luis."
Genauso gefährlich ist es, in dem Bus aus der Stadt herauszufahren, dachte Luis. Die Landarbeiter hatten alle Ausfallstraßen blockiert. Aber Alan war offenbar bereit, das Risiko einzugehen. Wahrscheinlich verließ er sich auf sein Verhandlungsgeschick, oder er wollte sich mit Schmiergeld die Durchfahrt erkaufen. Seine Bitte, Rücksicht auf Shontelle zu nehmen, beeindruckte Luis nicht.
"Du kannst sie ja bis zum Hotel begleiten. Es ist nur eine kurze Strecke, und die Straße ist eine Sackgasse, da wird bestimmt kein einziger Panzer hineinfahren", antwortete er.
"Ich kann die Reisegruppe nicht allein lassen. Shontelle wird auch hier gebraucht..."
"An der Treppe, die zum Prado 16 de Julio führt, hat das Plaza einen Seiteneingang. Ich werde veranlassen, dass dort jemand steht und sie hereinlässt - in einer halben Stunde."
Dann legte Luis den Hörer auf und lächelte. Aus einem seltsamen Verantwortungsgefühl für andere tat man manchmal Dinge, die man freiwillig nie tun würde. Da er der Sohn seiner Mutter war, würde er Christina Gallardo heiraten. Und da Shontelle Alan Wrights Schwester war, würde sie die Nacht in seiner, Luis', Suite verbringen, gemeinsam mit ihm.
Und mit beinah perversem Vergnügen würde er sich für das rächen, was sie ihm angetan hatte.
2. KAPITEL
Shontelle sah, wie ihr Bruder die Zähne zusammenbiss, als er den Hörer auf den Apparat knallte. Durch diese heftige Reaktion wachte sie aus der Erstarrung auf, in der sie das Gespräch verfolgt hatte, und sie verscheuchte die Erinnerungen.
"Was wollte er?" fragte sie, denn den Antworten ihres Bruders hatte sie entnommen, dass Luis offenbar unter gewissen Bedingungen bereit war zu helfen. Seine Familie war sehr einflussreich und an vielen Firmen in ganz Südamerika beteiligt.
"Vergiss es!" forderte Alan sie mit einer wegwerfenden Handbewegung auf. "Ich lasse mir etwas anderes einfallen."
Es gab aber keine andere Möglichkeit, sie hatten schon alles versucht. Deshalb schüttelte Shontelle den Kopf und beobachtete ihren Bruder, der im Wohnzimmer der Hotelsuite, die sie gemeinsam bewohnten, gereizt umherwanderte.
Irgendwie fühlte Shontelle sich eingeschlossen. Der Aufenthalt in dem relativ neuen Fünf-Sterne-Hotel Europa war als besondere Attraktion der Reise angepriesen worden. Aber jetzt hatten alle Reiseteilnehmer das Interesse an dem Luxus und der Pracht verloren und kamen sich vor wie in einer Falle. Noch mehr' schlechte Nachrichten würden Angst und Schrecken verbreiten und es vielleicht unmöglich machen, die Leute weiterhin zu beruhigen.
Alan teilte den Leuten unangenehme Neuigkeiten höchst ungern mit. Normalerweise war er ein geschickter Organisator, der die Übersicht behielt und mit den Krisen, die in Südamerika nicht selten waren, umgehen konnte. Flexibilität war Wichtig für das Gelingen einer Reise, und Alan hatte immer eine Alternative parat. Doch dieses Mal saß er wirklich fest. Er hasste es, wenn seine Pläne durchkreuzt wurden oder wenn er jemanden um einen Gefallen bitten musste.
Und Luis war genauso. Die beiden Männer waren sich sehr ähnlich, man hätte sagen können, sie waren seelenverwandt.
Eine tiefe Freundschaft, in der Entfernungen und soziale Unterschiede keine Rolle gespielt
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