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Scherben der Ehre

Scherben der Ehre

Titel: Scherben der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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Röcken ihres neuen Kleides, die um ihre Knie schwangen, war noch ungewohnt. Sie hatte das Kleid tags zuvor in Vorbarr Sultana gekauft. Ihre alte gelbbraune Uniform des Erkundungsdienstes, von der sie die Abzeichen abgenommen hatte, zog auf den Straßen die Blicke aller Leute auf sich. Das Kleid war unauffälliger; es machte ihr außerdem Spaß, sich wie eine Barrayaranerin zu kleiden, und das dunkle Blumenmuster gefiel ihr. Ihr Haar fiel offen herab, es war in der Mitte gescheitelt und mit zwei emaillierten Kämmen zurückgesteckt, die sie ebenfalls gekauft hatte.
    Etwas weiter den Hügel hinauf war ein Garten, umgeben von einer niedrigen grauen Steinmauer. Nein, kein Garten, erkannte sie, als sie näherkam, sondern ein Friedhof. Ein alter Mann in einem alten Overall arbeitete darin, er kniete auf dem Erdboden und pflanzte junge Blumen ein, die er einem flachen Korb entnahm.
    Als sie sich durch das kleine Tor schob, blickte er blinzelnd zu ihr empor.
    Über seine Identität gab es für sie keinen Zweifel. Er war etwas größer als sein Sohn und mit dem Alter war seine Muskulatur dünn und sehnig geworden, aber in seinen Gesichtsknochen sah sie Vorkosigan.
    »General Graf Vorkosigan, Sir?« Ganz unwillkürlich salutierte sie vor ihm, dann fiel ihr ein, wie eigenartig das in ihrem Kleid aussehen musste.
    Er erhob sich steif. »Mein Name ist Cap … – mein Name ist Cordelia Naismith. Ich bin mit Aral befreundet. Ich – weiß nicht, ob er Ihnen von mir erzählt hat. Ist er hier?«
    »Guten Tag, Madame.« Er nahm mehr oder weniger Grundstellung an und deutete ein höfliches Nicken an, das schmerzhaft vertraut war. »Er hat sehr wenig erzählt, und ich hatte nicht geglaubt, dass ich Ihnen je begegnen würde.« Ein Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, so langsam, als wären die entsprechenden Muskeln steif, weil er sie lang nicht benutzt hatte. »Sie können sich nicht vorstellen, wie erfreut ich bin, dass ich nicht recht hatte.« Er machte eine Geste über seine Schulter hinweg, den Hügel hinauf. »Auf dem höchsten Punkt unseres Anwesens gibt es einen kleinen Pavillon mit einem Blick über den See. Er … hm … sitzt die meiste Zeit dort oben.«
    »Ich verstehe.« Sie entdeckte einen Pfad, der sich am Friedhof vorbeischlängelte. »Hm. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll … Ist er nüchtern?«
    Er warf einen Blick auf die Sonne und schürzte die ledrigen Lippen. »Um diese Zeit vermutlich nicht mehr. Nachdem er nach Hause gekommen war, trank er zuerst nur nach dem Abendessen, aber dann begann er allmählich immer eher. Es beunruhigt mich sehr, aber ich kann nicht viel dagegen tun. Wenn jedoch sein Darm wieder zu bluten anfängt, dann werde ich vielleicht …« Er brach ab und warf ihr einen eindringlichen, prüfenden Blick zu. »Er hat diesen Fehlschlag von Escobar unnötigerweise persönlich genommen, meine ich. Sein Abschied war völlig unnötig.«
    Aus diesen Worten schloss Cordelia, dass der Kaiser den alten Grafen in dieser Sache nicht ins Vertrauen gezogen hatte, und sie dachte: es ist nicht der Fehlschlag, der seinen Geist niederdrückt, Sir, es ist der Erfolg. Laut sagte sie: »Loyalität gegenüber Ihrem Kaiser war eine sehr große Ehrensache für ihn, wie ich weiß.« Fast die letzte Bastion seiner Ehre, und Ihr Kaiser hatte sich entschlossen, sie im Dienst an seiner großen Bedrängnis bis auf die Grundmauern niederzureißen …
    »Warum gehen Sie nicht weiter hinauf«, schlug der alte Mann vor. »Aber er hatte heute keinen sehr guten Tag, ich – sollte Sie lieber warnen.«
    »Danke, ich verstehe schon.«
    Er blieb stehen und blickte hinter ihr her, als sie die ummauerte Einfriedung verließ. Sie folgte dem gewundenen Pfad im Schatten von Bäumen, die zumeist von der Erde stammten, und von anderen, buschartigen Gewächsen, die offensichtlich einheimisch waren. Eine Hecke mit Blüten – sie nahm an, es waren Blüten, Dubauer hätte es sicher gewusst –, die wie rosafarbene Straußenfedern aussahen, fiel ihr besonders auf.
    Der Pavillon, der einen schönen Ausblick auf den funkelnden See gewährte, war ein leicht orientalisch angehauchtes Bauwerk aus ausgewittertem Holz. Weinranken kletterten an ihm empor und schienen ihn für den felsigen Boden in Besitz zu nehmen. Er war auf allen vier Seiten offen, möbliert mit ein paar schäbigen Chaiselongues, einem großen, ausgeblichenen Sessel mit Fußschemel und einem kleinen Tisch. Auf diesem Tisch standen zwei Karaffen, einige Gläser und

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