Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Scherben der Ehre

Scherben der Ehre

Titel: Scherben der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
Vom Netzwerk:
vom Kies am Boden reflektiert wurde. Silberne Blasen lösten sich von ihrem Mund und schwebten über ihr Gesicht nach oben. Cordelia war einen Moment lang von ihnen fasziniert. Luft fließt unter Wasser wie Wasser, dachte sie; gibt es eine Ästhetik des Todes?
    »Also los! Wie viele? Wo?«
    »Nein, wirklich nicht!«
    »Dann trinken Sie noch mal!«
    Mit ihrem nächsten Atemzug keuchte Mehta: »Sie würden mich doch nicht umbringen!«
    »Eine Diagnose, Frau Doktor«, zischte Cordelia. »Bin ich eine geistig gesunde Frau, die so tut, als sei sie verrückt, oder bin ich eine Verrückte, die vorgibt, gesund zu sein? Lassen Sie sich Kiemen wachsen!« Ihre Stimme wurde unwillkürlich lauter. Sie drückte Mehtas Kopf wieder hinein und merkte, dass sie selbst den Atem anhielt. Und was ist, wenn sie recht hat und ich unrecht? Was, wenn ich eine Agentin bin und es nicht weiß? Wie unterscheidet man eine Kopie vom Original? Stein stumpft Schere …
    Sie hatte, bis in die Finger zitternd, eine Vision, wie sie den Kopf der Frau unten hielt und unten, bis der Widerstand erlosch, bis sie ohnmächtig wurde, und dann noch eine geraume Weile, um den Gehirntod sicherzustellen.
    Macht, Gelegenheit, Wille – ihr fehlte nichts. Also ist es das, was Aral in Komarr empfand, dachte sie. Jetzt verstehe ich – nein. Jetzt weiß ich.
    »Wie viele? Wo?«
    »Vier«, krächzte Mehta. Cordelia war erleichtert. »Zwei draußen im Foyer. Zwei in der Garage.«
    »Danke«, sagte Cordelia mit automatischer Höflichkeit; aber ihre Kehle war wie zugeschnürt und quetschte nur einen verzerrten Laut hervor. »Tut mir leid …« Sie wusste nicht, ob Mehta, deren Gesicht bläulich angelaufen war, sie hörte oder verstand.
    Papier wickelt Stein …
    Cordelia fesselte und knebelte Mehta, wie sie es einmal Vorkosigan an Gottyan hatte tun sehen. Sie schob sie hinter das Bett hinab, so dass sie von der Tür her außer Sicht war. Dann steckte sie Bankkarten, Ausweise und Geld in ihre Taschen und drehte die Dusche auf.
    Auf Zehenspitzen ging sie zur Schlafzimmertür hinaus, dabei atmete sie in unregelmäßigen Stößen durch den Mund. Sie sehnte sich nach einer Minute, nur einer einzigen Minute, um ihr erschüttertes Gleichgewicht wiederzugewinnen, aber Tailor und der Medizintechniker waren weg – vermutlich in der Küche, zum Kaffee. Sie wagte es nicht, den Beginn ihrer Flucht zu riskieren, nicht einmal, um nach Stiefeln zu suchen.
    Nein, Gott! Tailor stand im Durchgang zur Küche und hob gerade eine Kaffeetasse an seine Lippen. Sie erstarrte, er hielt in der Bewegung inne, und sie blickten einander an.
    Ihre Augen, fühlte Cordelia, mussten so groß sein wie die eines Nachttieres.
    Nie hatte sie ihre Augen unter Kontrolle.
    Tailors Mund zuckte seltsam, während er sie anschaute. Dann hob er langsam seine Linke und salutierte. Mit der falschen Hand, aber die andere hielt ja den Kaffee. Er nahm einen Schluck von dem Getränk und blickte unverwandt über den Rand der Tasse.
    Cordelia nahm ernst Grundstellung an, salutierte ihrerseits und schlüpfte dann leise zur Appartementtür hinaus.
    Zunächst erschrak sie, als sie im Korridor auf einen Journalisten und seinen Vidmann stieß; es war einer der hartnäckigsten und unangenehmsten, und sie hatte ihn gestern aus dem Gebäude geworfen. Sie lächelte ihn an, ganz schwindelig vor Euphorie, wie ein Fallschirmspringer, der gerade in die Luft hinaustritt.
    »Wollen Sie immer noch das Interview mit mir machen?«
    Er sprang auf und nahm den Köder an.
    »Jetzt mal ganz langsam. Nicht hier. Ich werde beobachtet, wissen Sie.«
    Sie dämpfte ihre Stimme verschwörerisch. »Die Regierung vertuscht etwas. Was ich weiß, könnte die Regierung in die Luft jagen. Dinge über die Gefangenen. Sie könnten – sich einen Namen machen.«
    »Wo dann?« Er war begierig darauf.
    »Wie steht es mit dem Raumhafen? Die Bar dort ist ruhig. Ich werde Ihnen einen Drink kaufen, und wir können – unsere Kampagne planen.« Die Zeit tickte in ihrem Gehirn. Sie erwartete, dass jeden Augenblick die Tür zum Appartement ihrer Mutter aufgestoßen würde.
    »Es ist jedoch gefährlich. Es sind zwei Agenten der Regierung oben im Foyer und zwei in der Garage. Ich müsste an ihnen vorbeikommen, ohne gesehen zu werden. Wenn sie wüssten, dass ich mit Ihnen rede, dann würden Sie wohl keine Chance für ein zweites Interview bekommen. Keine Gewalttätigkeiten – nur ein bisschen stilles Verschwinden bei Nacht und dann ein Gerücht von wegen ›zu

Weitere Kostenlose Bücher