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Scherben der Ehre

Scherben der Ehre

Titel: Scherben der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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Sie kletterte wieder auf das Bett, packte mit ihrer rechten Hand das Bettgeländer so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, steckte auch einen Fuß hindurch und machte sich auf die nächste Erschütterung gefasst.
    Nichts. Sie wartete. Durch ihr orangefarbenes Hemd drang Feuchtigkeit. Sie blickte an sich hinab und sah, dass ein rötlich-gelber Knochensplitter durch die Haut ihres linken Unterarms gedrungen war und dass Blut hervorquoll.
    Sie schlüpfte unbeholfen aus dem Oberteil ihres Pyjamas, wickelte es um den Arm und versuchte die Blutung zu stillen. Der Druck weckte den Schmerz. Sie versuchte, um Hilfe zu rufen. Die Zelle wurde doch sicherlich abgehört.
    Niemand kam. In den nächsten drei Stunden variierte sie den Versuch Hilfe zu rufen, indem sie schrie, vernünftig redete, endlos mit ihrer unversehrten Hand gegen die Tür oder die Wände schlug, oder einfach auf dem Bett saß und vor Schmerz weinte. Die Gravitation und die Lichter schwankten noch einige Male. Schließlich hatte Cordelia die vertraute Empfindung, verkehrt herum durch einen Leimtopf gezogen zu werden, was einen Wurmlochsprung anzeigte, und dann wurde die Umgebung beständig.
    Als sich die Tür der Zelle endlich öffnete, erschrak sie so sehr dass sie gegen die Wand zurückschnellte und sich den Kopf anschlug. Aber es war nur der Leutnant, der das Schiffsgefängnis leitete, zusammen mit einem Sanitäter. Der Leutnant hatte auf seiner Stirn eine rötlichpurpurne Prellung so groß wie ein Ei, der Sanitäter sah ebenfalls mitgenommen aus.
    »Dies ist der zweitschlimmste Fall«, sagte der Leutnant zu dem Sanitäter. »Danach können Sie die Zellen der Reihe nach abgehen.«
    Mit bleichem Gesicht und zu erschöpft, um zu sprechen, wickelte sie ihren Arm aus, damit er untersucht und behandelt werden konnte. Der Sanitäter war durchaus tüchtig, aber ihm fehlte bei der Berührung das Zartgefühl des Stabsarztes. Cordelia wurde fast ohnmächtig. Endlich war der Plastikbruchverband angelegt.
    Es gab keine Zeichen mehr für einen Angriff. Durch einen Schlitz in der Wand wurde ihr eine saubere Gefangenenuniform zugeschoben. Zwei Rationen später spürte sie einen weiteren Wurmlochsprung. Ihre Gedanken rotierten endlos im Laufrad ihrer Ängste; ihr Schlaf war voller Träume, und es waren allesamt Alpträume.
    Schließlich kam Leutnant Illyan zusammen mit einem gewöhnlichen Wachsoldaten, um sie zu holen. Sie hätte ihn fast geküsst vor lauter Freude, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Statt dessen räusperte sie sich schüchtern und fragte in einem Ton, von dem sie hoffte, er würde nonchalant klingen:
    »Geht es Kommodore Vorkosigan gut, nach diesem Angriff?«
    Er hob die Augenbrauen und warf ihr einen prüfenden Blick zu.
    »Natürlich.«
    Natürlich. Natürlich. Dieses ›natürlich‹ legte sogar nahe: unverletzt. Ihre Augen wurden feucht vor Erleichterung. Sie versuchte es durch einen Ausdruck kühlen professionellen Interesses zu verbergen. »Wohin bringen Sie mich?«, fragte sie ihn, als sie das Schiffsgefängnis verließen und den Korridor hinabgingen.
    »Zum Shuttle. Sie werden zum Kriegsgefangenenlager auf dem Planeten gebracht, bis Vereinbarungen über einen Austausch getroffen sind und man damit beginnt, alle nach Hause zu schicken.«
    »Nach Hause! Was ist mit dem Krieg?«
    »Er ist vorbei.«
    Vorbei! Sie brauchte einen Augenblick, um das zu verdauen. »Vorbei? Das ging aber schnell. Warum nutzen die Escobaraner nicht ihren Vorteil aus?«
    »Das können sie nicht. Wir haben den Wurmlochausgang verstopft.«
    »Verstopft? Nicht blockiert?«
    Er nickte.
    »Wie, zum Teufel, verstopft man ein Wurmloch?«
    »Es ist gewissermaßen eine sehr alte Idee. Feuerschiffe.«
    »Was?«
    »Man schickt ein Schiff hinein, löst eine größere Materie-Antimaterie-Explosion im Mittelpunkt zwischen den Schwingungsknoten aus. Das bewirkt eine Resonanz – wochenlang kann nichts anderes hindurch, bis sie aufhört.«
    Cordelia stieß einen Pfiff aus. »Schlau – warum haben wir nicht daran gedacht? Wie bekommt man den Piloten heraus?«
    »Vielleicht ist das der Grund, weshalb Sie nicht daran gedacht haben. Wir bekommen ihn nicht heraus.«
    »Gott was für ein Tod.« Ihre Vision davon war klar und unmittelbar.
    »Es waren Freiwillige.«
    Sie schüttelte benommen den Kopf. »Nur ein Barrayaraner …« Sie suchte nach einem weniger entsetzlichen Thema. »Habt ihr viele Gefangene gemacht?«
    »Nicht sehr viele. Insgesamt vielleicht tausend. Wir haben über elftausend

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