Scherben der Ehre
gehört? Die Barrayaraner wurden völlig aus dem escobaranischen Lokalraum vertrieben. Vermutlich bitten sie schon jetzt auf diplomatischen Kanälen um einen formellen Waffenstillstand und irgendeine Art von Verhandlungslösung.«
Zuerst herrschte verwirrtes Schweigen, dann brach Jubel los. Einige lachten, einige weinten, einige umarmten einander und einige setzten sich allein abseits. Einige rannten los, um die Nachricht zu den benachbarten Unterkünften zu bringen und von dort aus ins ganze Lager. Cordelia wurde nach Einzelheiten ausgequetscht. Sie gab eine kurze Zusammenfassung der Kämpfe, wobei sie ihre eigenen Taten und die Quelle ihrer Informationen ausließ. Die Freude der anderen Frauen machte sie ein bisschen glücklicher, zum ersten Mal seit Tagen.
»Nun ja, das erklärt, warum die Barrayaraner plötzlich vernünftig geworden sind«, sagte Leutnant Alfredi. »Ich nehme an, vorher hatten sie nicht erwartet, dass sie für ihr Tun zur Verantwortung gezogen würden.«
»Sie haben einen neuen Kommandeur bekommen«, erklärte Cordelia. »Er ist eigen, was Gefangene angeht. Ob Sieg oder Niederlage, es hat Veränderungen gegeben, seit er das Kommando hat.«
Alfredi blickte nicht überzeugt drein. »So? Wer ist es denn?«
»Ein gewisser Kommodore Vorkosigan«, sagte Cordelia neutral.
»Vorkosigan, der Schlächter von Komarr? Mein Gott, jetzt sind wir dran.« Alfredi blickte wirklich erschrocken drein.
»Ich denke, Sie bekamen heute morgen auf dem Landeplatz einen angemessenen Beweis für seine Redlichkeit.«
»Meiner Meinung nach beweist das nur, dass er ein Wahnsinniger ist«, sagte Alfredi. »Der Lagerkommandant hatte nicht einmal an diesen Übergriffen teilgenommen. Er war bei weitem nicht der Schlimmste.«
»Er hatte aber die Verantwortung. Wenn er von den Taten der anderen wusste, hätte er einschreiten müssen. Wenn er es nicht wusste, war er unfähig. So oder so war er verantwortlich.« Als Cordelia sich bewusst wurde, dass sie eine barrayaranische Hinrichtung verteidigte, unterbrach sie sich abrupt. »Ich weiß nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin schließlich nicht Vorkosigans Aufseher.«
Draußen erhob sich Lärm, der fast wie Aufruhr klang, und in ihre Unterkunft drängte sich eine Abordnung von Mitgefangenen, die alle nach einer Bestätigung der Friedensgerüchte verlangten. Die Wachen zogen sich an den Rand des Lagers zurück und warteten darauf, dass die Erregung von selbst abebbte. Cordelia musste zweimal ihre Zusammenfassung wiederholen.
Ihre eigenen Mannschaftsmitglieder kamen von der Männerseite herüber, angeführt von Parnell.
Er sprang auf ein Bett und rief über das fröhliche Gebrabbel hinweg der orangefarben gekleideten Schar zu: »Diese Lady hat euch noch nicht alles erzählt. Ich habe die wirkliche Geschichte von einem der barrayaranischen Wachsoldaten gehört. Nachdem wir an Bord des Flaggschiffs gebracht worden waren, ist sie entkommen und hat persönlich den Befehlshaber der Barrayaraner, Admiral Vorrutyer, umgebracht. Deshalb ist der Angriff der Barrayaraner zusammengebrochen. Ein Hoch auf Captain Naismith!«
»Das stimmt so nicht«, widersprach Cordelia, aber ihre Worte gingen in dem Geschrei und den Beifallsrufen unter. »Ich habe Vorrutyer nicht umgebracht. Bitte! Lasst mich runter!« Ihre Männer hoben sie, angeführt von Parnell, auf ihre Schultern und veranstalteten mit ihr einen spontanen Umzug durch das Lager. »Es ist nicht wahr! Hört auf damit!«
Es war wie ein Versuch, die Meeresflut mit einer Teetasse umzukehren. Die Geschichte kam in dieser Form einfach bei den arg mitgenommenen Gefangenen am besten an und war eine zu starke Erfüllung ihrer Wünsche. Sie war Balsam für ihre verwundeten Gemüter und wurde zu ihrer stellvertretenden Rache. Sie wurde weitererzählt, bearbeitet, vergrößert, umgewandelt, bis sie nach vierundzwanzig Stunden so reich und unausrottbar war wie eine Legende.
Nach ein paar Tagen gab Cordelia es auf, die Geschichte noch zu korrigieren. Die Wahrheit war zu kompliziert und zu problematisch, um die anderen Gefangenen anzusprechen, und Cordelia selbst, die in ihrem Bericht alles unterdrückte, was mit Vorkosigan zu tun hatte, konnte sie nicht überzeugend klingen lassen. Ihr Dienst erschien ihr aller Bedeutung entleert, langweilig und farblos. Sie hatte Sehnsucht nach ihrem Zuhause, ihrer vernünftigen Mutter und ihrem vernünftigen Bruder, nach Ruhe und nach einem Gedanken, der sich mit einem anderen verknüpfen würde, ohne
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