Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
dass Vanessa das ganze Wochenende bei ihm geblieben war. Doch dafür konnte er doch nichts! Trotzdem hatte er zu ihr fahren und sie beruhigen müssen, damit ihr ganzer Plan nicht kurz vor dem Ziel durch ein irrationales Misstrauen aufflog. Obwohl es noch zu früh war – Jonas war der festen Überzeugung, Thox würde sich Vanessa am 09. August holen – wusste er sofort, dass er hinter Vanessas Verschwinden steckte. Keine Scharade mehr, seine Schuld würde beglichen und die Freundschaft zu Thox wieder erneuert sein. Dann könnte Jonas auch bald offen zu Maria stehen. Er stellte sich bereits darauf ein, Besuch von der Polizei zu erhalten, die ihm mitteilten, dass seine Freundin Vanessa Justine Seebusch – unter welchen Umständen auch immer – ums Leben gekommen war. Das geschockte Gesicht beherrschte er inzwischen ebenso gut wie die trauernde Miene, und die Aussicht auf ein gemeinsames Leben mit Maria würde dies noch einfacher machen.
Doch dieser Besuch der Polizei war nie gekommen, o bgleich Vanessa verschwunden blieb. Wenn er doch bloß mit Thox reden konnte! Auf seine Versuche, telefonisch Kontakt zu ihm aufzunehmen, hatte dieser nicht reagiert. Also würde Jonas die Sache aussitzen müssen, bis Thox der Meinung war, dass die Zeit gekommen war, ihn in seinen Racheplan einzuweihen. Aber Jonas würde auch dies stoisch hinnehmen, um endlich seine Freundschaft wiederzubekommen. Nur leider gelang es ihm nicht, ganz so stoisch zu sein wie er es sich wünschte. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, und zu allem Überfluss konnte er nicht einmal in Marias Nähe sein. Niemand durfte sie zusammen sehen – und das mindestens bis einen Monat nachdem Vanessas toter Körper gefunden wurde. Wegen der »Trauerphase«. Und den Respekt der Toten gegenüber. Das ganze Blabla.
Doch je länger Thox die Sache hinauszögerte, desto länger würde es dauern, bis Jonas endlich wieder richtig zu leben anfangen konnte. Mit Maria und mit Thox. Geduld war noch nie seine Stärke gewesen …
Das Klingeln an seiner Wohnungstür ließ Jonas in seinem Bett hochschrecken. Wer konnte das nur mitten in der Nacht sein? Wenn Maria wieder einen hysterischen Anfall hatte, weil auch sie diese Ungewissheit nicht länger ertragen konnte, dann würde Jonas bald vollständig die Nerven verlieren. Mühselig quälte er sich aus seinem Bett und taperte gereizt, barfuß und nur mit einer Boxershorts bekleidet zu seiner Wohnungstür und spähte durch den Spion.
Doch vor seiner Tür stand nicht Maria.
Vor seiner Tür stand eine dunkle Gestalt, eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen und mit einer leicht zusammengesunkenen Körperhaltung. Jetzt lehnte sich die Gestalt plötzlich nach vorne, und Jonas sprang erschrocken von dem Spion zurück, als es erneut klingelte. Unschlüssig griff er sich an den Kopf. Was sollte er tun? Abwarten und hoffen, dass diese mysteriöse Gestalt wieder verschwand? Oder sollte er einfach die Tür öffnen und nachsehen, wer da mitten in der Nacht etwas von ihm wollte? Aber was hatte er zu befürchten? Die Gestalt wirkte schmächtig und nicht besonders groß, und wenn Jonas die Tür mit der ohnehin schon angelegten Sicherheitskette nur einen Spalt öffnete, würde kaum etwas geschehen können. Und so siegte die Neugier. Jonas öffnete die Tür einen kleinen Spalt und spähte vorsichtig hindurch.
»Ja?«, fragte er die dunkle Gestalt, die beinahe verschüc htert den Kopf gesenkt hatte. Doch nun sah sie auf, und Jonas Herz machte einen gefährlich langen Aussetzer. Das Gesicht, das er erblickte, war entstellt von Blutergüssen und Platzwunden! Zudem war es von der Stirn bis zum Hals blutverschmiert. Und inmitten dieses misshandelten Gesichts blickten ihn zwei smaragdgrüne Augen an.
Jonas würde übel.
»Was … was machst du hier?«, zwang er sich zu fragen, und seine flüsternde Stimme erschien ihm wie aus weiter Ferne.
Vanessa sah ihn einen ewigen Moment aus glasigen A ugen an. »Ich dachte, ich schau mal vorbei«, erwiderte sie tonlos. Ihr Gesicht blieb unter der Schicht aus Blut und Schorf eine unbewegte Maske.
Obwohl sich alles in ihm dagegen sträubte, wusste Jonas, dass er sie in seine Wohnung lassen musste. Aber noch wä hrend er die Tür schloss, um die Sicherheitskette zu öffnen, fragte er sich, was bloß schief gelaufen war. Sie sollte doch tot sein!
Er öffnete die Tür, und auf wackeligen Beinen trat sie lan gsam in seine Wohnung. Nachdem er die Außenwelt wieder abgeschirmt hatte, drehte er sich zu
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