Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
in Verbindung bringt. Bald wird man sie vermissen und man wird Fragen stellen. Verdammt, ich schätze, die werden auch mich befragen, immerhin haben uns genug Leute zusammen gesehen.« Plötzlich jedoch kam Nicky eine ganz andere Frage in den Sinn. »Wie … aber wie hast du es überhaupt geschafft, sie in den Wald zu locken?«
Conny zuckte schwach mit den Schultern, und Nicky hatte beinahe den Eindruck, Conny sei stolz auf seinen Erfolg. »Ich weiß nicht … es war ganz einfach. Ich habe sie ang esprochen, als sie alleine am Waldrand entlang ging. Ich habe ihr erzählt, dass du sie gern hättest und was wir machen können, um dich zu überraschen. Ich sagte ihr, du hättest bald Geburtstag und sie hat mir geglaubt. Ich hab sie einfach zugequatscht und sie hat nicht einmal bemerkt, wie tief wir in den Wald gegangen sind.«
Nicky hatte schon immer gewusst, dass Conny gut darin war, Leute mit Charme und Überzeugungskraft um den Fi nger zu wickeln, doch dass er sein Talent genutzt hatte, um Vorbereitungen für ein Verbrechen zu treffen, machte Nicky wütend. »Du verschissener … du verdammtes Arschloch!« Conny hatte Nickys Namen benutzt, um Stine in den Wald zu locken! Sie war wegen ihm mitgegangen, eingelullt von Connys Charme, nur um dann ein unwürdiges und brutales Ende zu erfahren. Dieser Alptraum schien einfach kein Ende nehmen zu wollen.
»Es tut mir leid! Es sollte doch bloß ein Spaß werden!«, jammerte Conny, doch klang er nicht mehr so reumütig wie noch vor ein paar Minuten. Vielmehr hatte Nicky den Ei ndruck, als wäre Conny genervt, immer wieder das Selbstverständliche zu beteuern. Doch war es selbstverständlich? War Reue selbstverständlich für Conny? Nicky schüttelte den Kopf und versuchte, diesen Gedanken loszuwerden. Ein nervenstarker Conny war ihm im Augenblick hilfreicher als ein wimmerndes Häuflein Elend. Stine war tot, nichts an Connys Verhalten konnte das noch ändern. Sie mussten jetzt ihre eigene Haut retten, um den Rest konnte sich Nicky später immer noch kümmern.
Doch was sollten sie jetzt mit Stine machen?
»Der See!«, sprach Nicky schließlich seinen ersten Gedanken aus.
»Du willst sie verschwinden lassen?«, fragte Conny übe rrascht.
Nicky blickte ihn an, als hätte er jetzt endgültig den Ve rstand verloren. »Was glaubst du denn?«, raunzte er grob. »Wir können sie doch nicht einfach hier liegenlassen! Wenn man sie findet, so wie sie jetzt ist, dann sind wir dran! Der See ist die einzige Chance, die wir haben! Wenn wir alles richtig machen, wird sie möglicherweise nie gefunden. Und falls doch … ich weiß nicht, das Wasser hat dann unsere Spuren verwischt. Zumindest hoffe ich das.«
Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf Connys Gesicht ab, das er offensich tlich zu verstecken suchte, doch Nicky entging es nicht. »Das würdest du für mich tun?«, fragte er dann.
Nicky wurde übel. So legte er das aus? Sollte er ihm s agen, dass er im Augenblick lieber seine Leiche verschwinden lassen würde, als den toten Körper von Stine? Denn das war die Wahrheit, und er spürte sie tief in seinem Inneren brennen. »Ich werde es tun, weil ich es muss. Aber nicht für dich, du verdammtes Arschloch!«, flüsterte Nicky scharf und stand kraftlos auf, ohne Connys Reaktion abzuwarten. Sie war ihm egal.
Es fiel ihm schwer, zu Stine hinüberzugehen und ihre Le iche anzufassen. Endgültig zu akzeptieren, dass sie nie wieder aufwachen würde.
Zu zweit machten sie sich an die Arbeit. Der See war nur w enige hundert Meter von dieser Stelle des Waldes entfernt, aber die Strecke bei strömenden Regen mit einem toten Körper zurückzulegen, ließ es wie Kilometer erscheinen. Conny hatte dem Leichnam unter die Arme gegriffen, während Nicky ihn bei den Beinen trug. Es war seltsam, Stines Beine anzufassen. War es doch die letzten Tage sein geheimer Wunsch gewesen. Doch nun rief ihre kalte, steife Haut eine beinahe betäubende Übelkeit und Ekel hervor, und er konnte nicht anders, als sich dafür zu schämen. Stine konnte nichts dafür, dass sie tot war, und sie hatte es nicht verdient, dass er sich vor ihr ekelte. Conny war es, der seinen Ekel und Abscheu verdient.
Und er selbst.
Was er Stine angetan hatte, war unverzeihlich. Es war seine Hand gewesen, er hatte sich selbst in diese unverzeihliche Position gebracht und war dadurch genauso zu verachten wie seine Mutter. Und auch jetzt hatte Stine es nicht verdient, ihre letzte Ruhe in einem schlammigen, verdreckten Waldsee zu finden.
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