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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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abgereist.«
    Er machte eine Pause und fuhr dann fort, als würde er mir eine Frage beantworten.
    »Eigentlich schon, aber ein paar Leute aus der Gruppe sind abgehauen, und Branka versucht, sie zu finden. Gerade haben sie rausgekriegt, wo Ismet ist.«
    Wieder machte er eine Pause. Ich brachte nicht mal ein Grunzen hervor. Er setzte seine einseitige Unterhaltung fort.
    »Eines der Mädchen meinte, dass er sich in eine Schottin verknallt hat. Branka und die Einwanderungsbehörde haben in der Schule angerufen und mit der Theaterlehrerin gesprochen, und die hat die Adressen rausgerückt. Gerade waren sie bei ihrem Vater, aber da war er nicht. Jetzt sind sie unterwegs zur Mutter.«
    Er warnte mich. Wir waren schon lange befreundet, und ich kannte ihn gut, und hätte dieses Maß an Zuneigung nicht erwartet, schon gar nicht, wenn man bedenkt, wie nah er seiner Mutter war.
    »Bist du sicher?«, fragte ich.
    »Ja. Die holen ihn ab, und dann fahren wir los. Inzwischen wissen sie auch, dass die anderen in London sind.«
    »Danke, Mann.«
    »Na gut, okay. Ich ruf dich wieder an, wenn wir in London sind.«
    Die Verbindung wurde unterbrochen. Ich trat zur Wand des Esszimmers und hängte das Telefon ein. Dann wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und drehte mich um. Allison und ihre Mutter sahen mich wie erstarrt an. Ich schluckte.
    »Die wissen, wo ich bin.«
    Allisons Mutter legte mir die Hände auf die Schultern und sagte: »Niemand nimmt dich mit. Nicht, wenn ich es verhindern kann.« Sie rief einen befreundeten Anwalt an und fragte ihn, was jetzt das Beste sei, und er sagte, sie solle mich, da ichMuslim sei, zu einer Moschee in Glasgow bringen, weil es dort eine starke und gut organisierte muslimische Gemeinde gab, wo man mich in juristischen Angelegenheiten besser beraten könne als er am Telefon. Sie meldete sich krank, packte mir eine Tasche mit Klamotten von ihrem Sohn, und dann hasteten wir aus der Wohnung.
    Im Wagen auf der Fahrt nach Glasgow fühlte ich mich auf angenehme Weise gelähmt. Jemand anders hatte das Kommando übernommen. Die Heizung war an. Regentropfen wanderten schräg über die Scheiben an der Seite und konnten mich nicht nass machen. Allison pumpte Liebe durch meine Hand. Vorne saß ihre Mutter und versicherte mir, dass alles gut werden würde, dass es meine Bestimmung sei, nach Amerika zu gelangen und ich den Traum nicht aufgeben dürfe.
    Ist es jetzt meine Bestimmung oder ist es ein Traum?
    Wir bogen auf den Parkplatz eines großen islamischen Zentrums mit angeschlossener Moschee. Es war ein Backsteingebäude, auf dem eine gedrungene Säule mit Lautsprecher thronte, die als Minarett diente. Allisons Mutter ging alleine zum Infoschalter, und Allison und ich umarmten uns fieberhaft auf dem Rücksitz, wir küssten uns, bis wir nicht mehr atmen konnten. Der Regen trommelte dramatisch aufs Dach, und es fühlte sich an, als ginge alles zu Ende.
    Ein Mann namens Tariq, eine Art Kontaktperson des Zentrums, empfing uns in seinem kleinen, schlichten Büro. Er trug eines dieser weißen fließenden Gewänder und einen Rasputinbart, in dem sich eine Katze hätte verstecken können. Er servierte uns schwarzen Tee mit Milch und hörte sich meine Geschichte mit aufrichtigem Interesse und Verständnis an.
    Offensichtlich hatte der Rechtsvertreter des Zentrums seinen freien Tag, und Tariq meinte, das Beste sei, ich bliebebis zum nächsten Tag dort. Hinten gäbe es Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbewerber, und er würde mir etwas zu essen besorgen. Allisons Mutter betonte immer wieder, wie wichtig Sicherheit sei und er versicherte uns, man würde sich gut um mich kümmern. Allison wollte bei mir bleiben, aber er sagte, dass sei nicht möglich.
    Allison und ihre Mutter versprachen, am nächsten Tag wiederzukommen, und gingen. Tariq sah mich weinen und fragte mich, ob Allison Muslimin sei. Ich verneinte. Er schüttelte den Kopf, legte mir eine Hand auf die Schulter und sagte: »Vielleicht ist es ja gut, dass sie weg ist, oder?«
    Er führte mich auf dem Gelände herum. Als es Zeit war für das Mittagsgebet, nahm er mich mit in die Moschee. Während des Gebets murmelte ich Suren, die ich kannte, weil sie mir mein Großvater beigebracht hatte. Ich wusste nicht, wann ich mich hinknien, wann aufstehen, wann ich den Gebetsteppich mit der Stirn berühren musste, also machte ich die gymnastischen Teile des Gebets einfach dem Mann vor mir nach. Anschließend nahm mich Tariq mit zu sich und setzte mir eine Art

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