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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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in seinen Stuhl sackt und stöhnt. Du bist wütend, aber der Anblick der Zastava, die dem alten Mann aus der Hose lugt, verhindert, dass du etwas Dummes tust.
    In der Zwischenzeit wurde das Essen serviert, und alle hauen rein: Suppen, gefüllter Kürbis, gefüllte Paprika, pikante Blätterteigschnecken. Ein dicker Akkordeonspieler spielt und singt mit wechselndem Erfolg. Er trägt einen grünen Filzhut mit einer Krähenfeder und einen Schnurrbart, wie ihn Witzbolde auf Plakate zeichnen. Immer mal wieder bekommt er ein paar Leute dazu, aufzustehen und Kolo zu tanzen. Jedes Mal winken sie dich zu sich, und schließlich behauptest du, der Granatsplitter in deinem Bein schneide dir die Blutzufuhr ab, wenn du zu lange sitzt, und Jovan schreit, sie sollen dich in Ruhe lassen. Aber in Wirklichkeit ist da kein Splitter, in Wirklichkeit ist da nichts als Brechreiz, gefühlsduselige Erinnerung, Konfusion.
    Irgendwann heben sie das Schwein vom Grill und setzen es, mit Kopf und allem, auf dem Tisch ab, so dass es dich mit einem geschlossenen und einem offenen Auge elend ansieht. Sie ziehen ihm den Spieß aus dem Arsch und stecken ihm eine halbe Zitrone inden Mund. Sie begießen es mit Bier, lachen, schmatzen mit den Lippen und rufen nach Besteck. Sie sind alle richtig glücklich.
    Dich zerreißt es. Du siehst deine Mutter in Tuzla durch ein offenes Fenster klettern, und im Valley greifen deine Arme nach ihr. Deine Muskeln erinnern sich, wie sie sie festgehalten haben an jenem Tag, wie sie sich wehrte. Lass mich, hörst du sie sagen, und die Menschen um dich herum fressen das Schwein. Deine Arme sind steif, halten nichts fest. Dein Magen steigt dir in die Brust. Der Turnschuh bewegt sich, dann nicht mehr. Du willst davonlaufen oder weinen oder um dich schlagen.
    Du weißt nicht, was du wirklich willst.
    Als dir eine Frau ein großes, glänzendes Stück Fleisch vorsetzt, kotzt du drauf, direkt auf den Teller, auf die Seite vom Tisch, auf deinen Schoß. Jemand kippt deinen Stuhl an und du fällst, immer noch kotzend, ins Gras.
    »Schlappschwanz«, hörst du Miloš sagen. Du kniest.
    Die Frau mit dem Clownkopf hilft dir auf. Sie führt dich durch die Hintertür ins Haus, schirmt deinen Kopf mit der Hand ab, als ihr unter einem Kronleuchter durchgeht, und stellt dich vor die Badezimmertür. Sie klopft.
    »Immer mit der Ruhe«, sagte eine Frauenstimme von drinnen.
    Sie hebt deinen Kopf.
    »Alles in Ordnung?«
    Du brummst.
    »Sicher?«
    Du nickst.
    »Okay. Warte, bis sie fertig ist, und dann mach dich frisch.«
    »Danke«, bringst du heraus und hältst dir ihr zuliebe die Hand vor den Mund.
    »Und kotz mir nicht auf den Teppich«, sagt sie lächelnd. Dann ist sie weg.
    Du siehst dich im Flur um. Überall Bilder, Collagen, Jovan in Tschetnikuniform, Jovan in einem Anzug, der junge Jovan mit dicken Siebziger-Jahre-Koteletten und Schnurrbart, seine Frau in einem geblümten Kleid und einem Baby im Arm. Ein Familienporträt mit mehr als hundert Personen. Miloš als Kind auf einem Esel irgendwo an einem Strand. Miloš beim Abschlussball mit einer Blondine, Miloš am Steuer eines roten Camaro. Ein riesiges Porträt von General »Draža« Mihaijlović mit seiner kleinen runden Brille, den Tränensäcken und einem Bart, der dem von Jovan in nichts nachsteht, nur schwärzer ist. Daneben, in einem schmalen Holzrahmen, die Fotografie einer hellvioletten Medaille.
    Du gehst näher ran, um die Bildunterschrift zu entziffern. Da steht:
    General Dragoljub Mihajlović hat sich in herausragender Weise als Stabschef der jugoslawischen Armee und später als Kriegsminister hervorgetan, indem er maßgebliche Widerstandskräfte gegen den Feind, der von Dezember 1941 bis Dezember 1944 Jugoslawien besetzt hielt, organisierte und anführte. Dank der unerschrockenen Bemühungen seiner Soldaten wurden viele Piloten der Vereinigten Staaten gerettet und befreundeten Mächten übergeben. Trotz mangelnder Verpflegung und extrem harter Bedingungen leisteten General Mihajlović und seine Truppen mit ihrem Kampf einen wertvollen Beitrag zum Sieg der Alliierten.
    Harry S. Truman, Präsident, anlässlich der Verleihung des Ordens der Legion of Merit am 29. März, 1948.
    Darunter hatte jemand in kyrillischer Schreibschrift notiert: Die höchste Auszeichnung der US-Regierung für ausländische Staatsangehörige.
    Dein ganzes Leben lang, seitdem du sechs Jahre alt warst, haben dir die Lehrer erzählt, »Draža« Mihajlović sei ein schlechter Mann gewesen, ein Verräter,

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