Scherben
einer, der mit den Nazis gegen die jugoslawische Armee gekämpft und den Mord an Tausenden von Jugoslawen befohlen hatte, die nicht seinem Glauben angehörten. Und jetzt siehst du ihn vor dir, als hochdekorierten amerikanischen Helden. Du taumelst rückwärts, zornig, ängstlich.
Noch ist niemand aus dem Badezimmer gekommen. Du gehst weiter den Flur entlang, kommst in ein Schlafzimmer und findest ein Telefon. Du rufst bei dir zu Hause an, und nach zweimal Klingeln nimmt dein Mitbewohner ab.
»Hallo.«
»Eric, du musst mich abholen, Dude. Ich stecke in der Klemme.«
»Wo bist du?«
»Im Valley.«
»Immer noch auf der Party?«
»Nein, ich bin im Haus eines Geisteskranken und muss schleunigst von hier verschwinden.«
»Hat das keine Zeit? Ich mach mir gerade Chinanudeln.«
»Setz dich ins Auto, Dude.«
Als du »Dude« sagst, hörst du vier Pistolenschüsse in rascher Abfolge: PENGPENGPENGPENG! Du siehst dich um und entdeckst einen Umschlag auf dem Nachttisch, adressiert an irgendeinen anderen Cvetković. Die Mutter.
»Sind das Pistolenschüsse?«
Du ignorierst die Frage und liest die Adresse zweimal vor. Mittlerweile bettelst du. »Komm und hol mich ab, Mann.«
Du hörst Schritte hinter dir, drehst dich um und kriegst gerade noch mit, wie Miloš und seine Mutter durch den Flur eilen und darüber streiten, wo sie die Pistole am besten verstecken.
Du erinnerst dich an eine verheerende Nacht an der Front, als der Schnee im Licht des fast vollen Mondes knochenweiß leuchtete, als sich die Zweige über dir wie Blutgefäße über den anämischen Bauch des Nachthimmels legten und die Kugeln aus dem Nichts kamen, in weiche Dinge eindrangen, von harten abprallten, als die Mörser des Feindes alles pulverisierten. Du erinnerst dich an die Geschichte, die dir Kralle in jener Nacht erzählte, darüber, wie er den Befehl bekam, einen Hügel raufzukriechen und sich dort mit einem Trupp zu vereinigen, der von der anderen Seite hochgekrochen kam. Er sollte sich ein weißes Band um den linken Arm binden, um sich vom Feind zu unterscheiden, da der praktisch identische Uniformen trug. Er erzählte dir, wie er oben ankam und sich in einen Schützengraben schlich, in dem lauter Männer mit weißen Armbändern am linken Arm hockten und miteinander quatschten, bis er irgendwann kapierte, dass sie Tschetniks waren, die durch einen seltsamen Wink des Schicksals ebenfalls auf die Idee gekommen waren, sich mit weißem Armband kenntlich zu machen. Du siehst, wie Kralle cool bleibt, den Rückzug antritt, leise die Kalaschnikow ansetzt und sie alle hinterrücks erschießt.
Jetzt ist das Badezimmer offen, und du schließt dich ein, willst es aussitzen. Der kleine Raum ist komplett beige: beigefarbene Fliesen, beigefarbene Duschvorhänge, beigefarbene Handtücher mit rotem Muster, dein eigenes beigefarbenes Gesicht im Spiegel. Du spritzt dir Wasser ins Gesicht, nimmst etwas davon in den Mund, spuckst es aus, nimmst noch mal welches und spuckst es wieder aus. Durch die kleine Milchglasscheibe siehst du den Akkordeonspieler eine komplizierte Balkanmelodie auf zwei Keyboards gleichzeitig spielen. Er tut so, als wären nie Schüsse gefallen. Du setzt dich auf den beigefarbenen Klodeckel, stützt den Kopf auf deine beigefarbenen Hände und starrst das Fliesengitter auf dem Boden an, einen Papierkorb, dann wieder das Gitter. Du denkst an den Tod und an Mutter. Du überlegst, was richtig ist.
Der Papierkorb ist klein, aus Korbgeflecht, mit Plastik ausgeschlagen. Du schubst ihn mit den Fuß an, und die zusammengeknüllten Papiertücher verrutschen, bringen etwas stumpf Glänzendes zum Vorschein. Du greifst rein und ziehst Jovans Pistole heraus.
Deine Hand weiß, was man damit macht; dein Zeigefinger krümmt sich. Der Griff fühlt sich gut an. Du schnupperst am Lauf, und er riecht nach Jugend, nach Bosnien. Du entsicherst und erhebst dich. Du spannst den Hahn und trittst vor den Spiegel. Du siehst aus wie Kralle, wie du da vor dem beigefarbenen Hintergrund stehst. Du beugst dich näher zum Spiegel. Deine Augen brennen furchtbar.
Erst ist die Polizeisirene leise, dann wird sie immer lauter, schließlich übertönt sie den Akkordeonspieler und lässt die zeternden Serben verstummen. Wortwechsel, die du nicht richtig hören kannst. Fragen. Sie schieben es auf die Kinder, Feuerwerk. Entschuldigungen und Verwarnungen. Dir wird klar, dass du eine Schusswaffe in der Hand hast. Wo bleibt Eric?Wie lange braucht man in einem Oldsmobile von Thousand
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