Scherben
heraus, einem Transparent mit genau diesem Totenkopf-und-Schwerter-Emblem. Eine Piratenflagge, so nannte er es.
Der Patriarch klopft dir auf die Schulter und drückt deinen Arm, erzählt dir, dass sein Vater im Zweiten Weltkrieg Tschetnik unter dem direkten Kommando von General Dragoljub »Draža« Michaijlović war, seine Brüder ebenfalls. Er, der Jüngste, sei damals zu jung gewesen, um zu kämpfen, und sein Vater habe ihn deshalb am wenigsten geliebt und ihn ohne einen Dinar nach Čemerika geschickt, damit er sich einen Platz in der Welt suche. Während er redet, fällt dir eine andere Möglichkeit ein, dem hier zu entfliehen. Pflaumenschnaps.
»Wir sollten darauf trinken, dass wir trotz allem noch leben«, sagst du und nimmst wieder einen Schluck Bier.
»Warte«, sagt der Sohn und sieht sich nach seinem Getränk um.
»Willst du mit Bier anstoßen?« Du wendest dich dem alten Mann zu. »Dafür brauchen wir was Stärkeres, oder nicht?«
»Er hat recht«, sagt der Vater. »Miloš, geh und hol den Rakija.«
Ein lahmer, klappernder Ventilator kommt im Rücken des alten Mannes knatternd zum Stehen. Er flucht, bückt sich und fingert am Kabel, bis er erneut zum Leben erwacht, sich wieder dreht, wenn auch nur halbherzig.
»Die Stromleitung«, erklärt der alte Mann.
Du stößt mit ihm an, und ihr trinkt beide. Er redet weiter.
»Weißt du, meine Brüder wurden beide brutal ermordet. Dragiša, Gott sei seiner Seele gnädig, wurde gefangen und 1942 oder 1943 von den Partisanen hingerichtet, wir sind nicht ganz sicher, wann. Seine Leiche wurde nie gefunden. Zdravko, Gott sei seiner Seele gnädig, wurde im Nordosten von Bosnien von den Zeleni kadar niedergemetzelt. Verfluchte Türken. In Stücke haben sie ihn gehackt wie Feuerholz. Wir bekamen ihn in vier Jutesäcken wieder.«
Er haut mit der Faust auf den Tisch wie in einem schlechten Theaterstück. Russische Eier wackeln auf seinem Teller. Seine Augen füllen sich mit Tränen. Du hältst seinem Blick stand, presst die Lippen aufeinander und schüttelst den Kopf, um möglichst mitfühlend rüberzukommen.
»Danach hat mich mein Vater gehasst, er meinte, wäre ich bei meinen Brüdern gewesen, um ihnen den Rücken freizuhalten, dann wären sie nicht tot. Dabei war ich erst zwölf Jahre alt.«
Miloš kommt mit einer Fantaflasche, gefüllt mit einer gelblichen Flüssigkeit, und einem Tablett mit klirrenden Schnapsgläsern zurück. Die Frau in Schwarz erhebt sich vom Tisch.
»Wofür ist das?«, fährt sie ihn an. Sie hat den Mund voller glänzender Goldzähne.
»Zum Trinken.«
»Willst du deinen Vater umbringen?«
»Er hat gesagt, ich soll was zum Anstoßen holen.«
»Es ist erst Mittag, und er ist schon betrunken. In der Hitze kriegt er davon einen Herzinfarkt.«
»Rakija verdünnt das Blut, Mutter«, sagt er und stellt seinem Vater und dir jeweils ein Schnapsglas vor die Nase, schenkt die Gläser voll und gießt sich anschließend selbst eins ein.
»Aufs Überleben, allen gegenteiligen Bemühungen des Feindes zum Trotz«, sagst du und hebst dein Glas. Miloš und sein Vater tun es dir nach.
»Türkische Memmen!«
»Verflucht seien ihre Mütter auf ihren beschissenen Gebetsteppichen!«
Du hältst dein Glas erhoben, bis alle am Tisch, die sich anschließen möchten, ein Getränk in der Hand haben, dann kippst du’s dir in den Rachen, und es ist, als hätte jemand einen Napalmangriff auf dein Magengeschwür verübt. Du musst dich anstrengen, um nicht zu kotzen. Aber dir ist nicht vom Schnaps schlecht.
Vor deinem geistigen Auge siehst du den Körper deiner Mutter, eine skelettartige Figur, zu zerbrechlich und zu kopfscheu, um sie auch nur zu umarmen. Du schüttelst dich, um das Bild zu vertreiben. Stattdessen tauchen gefallene Kameraden auf, ihre Gesichter unbeweglich und bleich wie Masken aus Pappmaché. Und bevor sich die Schleusentore öffnen, haust du dir eine runter, fest.
Weitere Trinksprüche fallen rund um den Tisch: auftote Verwandte, auf die Heiligen der toten Verwandten, auf die persönlichen Heiligen der Familie des Gastgebers (sein Name ist Jovan Cvetković, hast du gehört), auf Parolen wie »Serbien bis Tokio«, auf Präsident Milošević, etc. Jedes Mal, wenn ein Schnaps Jovans Kehle hinabrinnt, versucht er aufzustehen, seine Waffe zu ziehen und in die Luft zu feuern, aber Miloš und ein paar jüngere Verwandte greifen ein und bringen ihn davon ab. Sie erinnern ihn daran, dass sie sich im Valley befinden, in Amerika, woraufhin Jovan wieder
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