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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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es meilenweit keinen Parkplatz. Du stehst vor einem Grundstück, auf dem eine Party gefeiert wird. Dieses Mal mit Bosniern.
    Aus dem Transporter steigt eine Traube Jungen und Mädchen, alle kreischen etwas auf Englisch. Der Mann im Unterhemd lässt sich von allen abklatschen,sie schieben sich an ihm vorbei und veschwinden im Hof.
    »Domaćine«, sagt der Fahrer und verschließt den Transporter mit einer dieser Schlüsselfernbedienungen. Pie-piep! Beide Männer heben die Arme, als hätten sie einander jahrelang nicht gesehen, umarmen sich herzlich und schmatzen sich gegenseitig Küsschen auf die Wangen, jeweils drei.
    »Komm rein, komm rein!«
    »Habt ihr etwa ohne mich angefangen?«
    »Was denkst du denn, wir haben gestern Abend angefangen.«
    »Hab schon gehört!«
    Der Fahrer geht zur Tür, dann fällt ihm auf, dass sich der Mann im Unterhemd nicht rührt.
    »Kommst du?«
    »Ja, ich will nur noch in Ruhe eine rauchen. Geh und hol dir ein Bier.«
    »Beeil dich.«
    Du siehst dir das an wie ein Theaterstück; erst, als dich der Mann im Unterhemd anschaut, merkst du, dass du einfach nur dastehst und ihn anstarrst. Er zündet sich eine an. Er ist dick und fleischig, älter als du, sein schwarzes, schütteres Haar ist mit offenbar eimerweise Gel an seinem Schädel festgeklebt und penibel gekämmt, so dass der ganze Kopf eine geriffelte Struktur hat, wie in einem Mafiafilm.
    »Willst du eine?«, fragt er dich auf Englisch.
    Normalerweise redest du in Amerika nicht gerne mit Bosniern. Du hast das Gefühl, sie stehen deiner vollständigen Assimilation im Weg. Du kannst es nicht ertragen, wenn sich die Worte in deinem Kopf verdoppeln und auf Bonglisch rauskommen. Aber dann fällt dir ein, dass du immer noch telefonieren musst.
    »Klar, gib her«, sagst du zu dem Mann auf Bosnisch. Du siehst, wie er die Augen aufreißt, blutunterlaufen und blau, fast schon weinerlich.
    »Bist du auch deshalb hier?«, fragt er und zündet dir eine Zigarette an, eine Menthol. Er nickt in Richtung Haus. Du bekommst einen Hauch von seinem Atem ab, und einen Moment lang bist du wieder zu Hause bei deinem Dad und seinen Sliwowitz trinkenden Freunden, die schreiend vor dem Fernseher sitzen und Fußball gucken, sich mit der flachen Hand auf die Stirn schlagen, wenn ein Schuss knapp danebengeht, und du siehst ihnen zu, wie sie fluchen und Sachen sagen wie: »Den hätte meine Tante Devleta reingemacht«, oder: »Seine Mutter soll gefickt sein, der hat zwei linke Beine.«
    »Nein, Mann, ich bin bloß vorbeigekommen und hab die Musik gehört.«
    »Wo kommst du her?«
    »Tuzla. Und du?«
    »Ganz Tuzla hat eine einzige Ziege gemolken und dann damit geprahlt, dass es sich von Käse ernährt.« Das ist ein altes Lied über deine Stadt, und er lächelt, als wäre er stolz, sich nach all den Jahren noch dran zu erinnern. »Ich war eine Million Mal da. Meine Ex-Freundin hat dort studiert. Jasna Babić. Kennst du sie?«
    »Glaub nicht.«
    »Eher klein, blond?«
    »Glaub nicht.«
    »Titten, so dick?«
    »Ich glaub nicht, Mann.
    »Mann, die hat gevögelt wie eine Wilde.«
    Er nimmt einen Zug, eine traurige Lunge voll Nikotin und Nostalgie, blickt glasig in die Ferne. Du versuchst es ihm gleichzutun.
    »Ist mit einer unserer eigenen Granaten in die Luft geflogen«, sagt er und raucht. Du weißt nicht, was du sagen sollst, also machst du ihm einfach alles nach. Du hast in Wie man Freunde gewinnt gelesen, dass sich Fremde dadurch entspannen.
    »Ich hab ihr eine Million Mal gesagt, sie soll da weg«, fuhr er fort, aber dann unterbricht er sich. Etwas wie Wut weht über sein Gesicht. Sein Blick verändert sich. »Ach, scheiß drauf. War ihre verfluchte Entscheidung.« Er raucht noch ein bisschen, dann sagt er auf Englisch: »Andere Mütter haben auch schöne Töchter« und lacht, haut dir so fest auf den Rücken, dass du beinahe umkippst. Seine Zigarette ist fast bis zum Filter abgebrannt und du hast noch immer nicht nach dem Telefon gefragt.
    »Hör mal –«, fängst du an.
    »Wann bist du hergekommen? In die Staaten.«
    »Ähm … Ende 95.«
    »Wie bist du rausgekommen?«
    »Bin kriegsversehrt. Die haben mich gehen lassen.«
    »Was, du warst Soldat?«
    Plötzlich steht er ganz dicht vor dir, guckt dir in die Augen wie einer Geliebten oder einem Erzfeind. Du nickst, lehnst dich zurück. Du schwörst, dass er ein paar Tränen vergießt, dich umarmt wie vorher den Fahrer und dich auf beide Wangen küsst.
    »Du musst reinkommen und mit uns feiern«, bringt er durch

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