Scherben
Oaks hierher?
Du gehst im Badezimmer auf und ab. Du versteckst die Waffe. Holst sie wieder raus. Versteckst sie wieder. Holst sie wieder raus. Du nimmst den Deckel vom Spülkasten, wirfst die Pistole rein. Machst den Spülkasten zu.
Eine halbe Stunde später hupt es, und du weißt, du wirst abgeholt. Hinten im Garten feiern sie wieder. Du konzentrierst dich auf das, was zu tun ist, holst tief Luft und gehst raus aus dem Bad, den Gang entlang. Am Küchentisch sitzen lachende Kinder. Du gehst durchs Wohnzimmer. Die weiße Haustür ist das Einzige, was du siehst. Du kannst es spüren, das Hochgefühl in deiner Brust, die Freude in den Gesichtsmuskeln. Deine Mundwinkel heben sich. Du schließt deine Hand um den Türknauf.
»Soldat!«, brüllt Jovan hinter dir. »Wo willst du hin?«
Er torkelt auf dich zu, stößt sich von der Wand ab, fällt beinahe, dann doch nicht. Er schafft es bis zur Rückenlehne eines riesigen Sessels, und da noch eine Strecke von ungefähr fünf Metern vor ihm liegt, auf der er sich nirgends abstützen kann, bleibt er dort stehen und klammert sich mit beiden Händen fest.
»Bleib noch.«
»Ich muss gehen. Ich wollte gar nicht so lange bleiben. Ich habe noch viel zu tun.«
Er brummt. »Äh, okay. Okay, aber komm her, bevor du gehst, damit ich dir danken kann für das, was du für uns getan hast.«
Er hebt die Arme, torkelt vorwärts, fängt sich aber gerade noch, kurz bevor er mit dem Gesicht auf die Rückenlehne knallt. Das Auto hupt noch einmal. Dusiehst, dass der braune Delta 88 direkt vor dem Haus steht.
»Ich werde abgeholt«, sagst du zu ihm und willst zur Tür raus.
»Sag mir noch eins.«
Du wartest. Du drehst dich zu ihm um.
»Wie viele von denen hast du« – er hält inne, zieht seinen linken Zeigefinger quer über den Hals – »mit eigenen Händen?«
Du siehst ihn an, das Schwein. Das Grinsen in seinen Augen. Du willst sagen, ich bin Mustafa Nalić, aber du kannst es nicht. Du willst ihm verzeihen. Im Grunde deines Herzens willst du ihn in die Arme schließen, aber du hast Angst, ihm dabei das Rückgrat zu brechen. Du willst ihm die Hand schütteln, aber du fürchtest, du könntest ihm den Arm auskugeln. Du willst ihn auf die Wange küssen und anspucken.
»Eines Nachts habe ich mich in einen feindlichen Schützengraben geschlichen und sechs mit einem einzigen Ladestreifen erledigt. Sie dachten, ich sei einer von ihnen. Sie haben rumgealbert. Ich hab sie alle niedergemäht.«
Er lächelt und nickt.
»Gut«, sagt er.
Auszüge aus Ismet Prcićs Tagebuch
Juni 2003
Melissa ist weg, mati . Fort.
Wir haben uns immer wieder gestritten. Monatelang hat sie … sie hat gesagt, sie habe Motel-Quittungen und Drogen in meiner schmutzigen Jeans gefunden. Wie bitte?
Sie wurde so … kalt, wieder mal, und ich hätte sie am liebsten erschossen, also bin ich aus der Wohnung gestürmt, bevor was passiert. Die ganze Nacht gefahren. Übernachtung im Wald. Als ich wiederkam, war sie weg.
Sie ist immer noch weg. Ben und Jen (meine Mitbewohner) sind auch weg, aber sie kommen morgen nach San Diego zurück. Von einem Ausleger-Kanu-Rennen auf Hawaii. Melissa nicht. Sie ist für immer weg. Ich bin alleine mit Bens Katze. Ich trinke.
Um Mitternacht hab ich Dr. Cyrus angerufen. Wie eine Platte mit Sprung. Nehmen Sie eine Xenex und schreiben Sie, sagte er. Schreiben Sie alles auf . Er will, dass ich alles aufschreibe? Hier ist alles:
(… eine ganze minute von allem, für cyrus …)
… home sweet home, und du schlapp auf dem Sofa, groggy vom Alkohol und einer fünftägigen Campingtour mit Zecken und Bären und Mammutbäumen, in der Hand eine Zeitschrift, das trübe Licht einer Vierzig-Watt-Birne, und der Fernseher läuft und Johnny Cat kaut sich manisch das Fell ab und die Innenseiten seiner Hinterbeine sind noch kahler als vor deiner Abreise und seine Augen sind riesig und ohne Liebe und das Aquarium ist halb voll oder halb leer, jedenfalls sind keine Fische drin, die sind weg, seit das Wasser auslief und den Anrufbeantworter killte, Kurzschluss, und am Boden Zeitungen, Los Angeles Times, Orange County Edition , ungelesen in Plastikhüllen, eine Wochenladung, bespritzt mit Wüstenlandschaften, Traumlandschaften, kaputtem Stacheldraht, Tarnmuster, Atompilzen, und ringsherum fliegt alles durcheinander, Chaos, Junk-Mail mit Angeboten für Junk-Food und Junk-Träume zu Junk-Preisen, und weiße Umschläge, Deadlines, und ein Weberknecht stochert im alten Weinfleck, und der Kater schaut
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