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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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verkauft hat, macht er sie heiß, mischt sie mit einer halben matschig-faulen Zwiebel und ein bisschen Ketchup von ganz unten aus der Plastikflasche – er schneidet den Hals der Flasche mit einem Messer auf und lässt heißes Wasser reinlaufen, um sicher zu gehen, dass auch wirklich das letzte bisschen rote Sauce herauskommt –, vermischt das Ganze mit Rigatoni und verschlingt es. Und bevor ich sehe, dass er seine Geige an einen Busfahrer verkauft, wird mir klar, dass der Name des Hundes Archibald ist.
    Ich sehe, wie ich Asja meine rechte Hand entziehe, ihr stattdessen die linke gebe und zwischen sie und den Hund trete. Ich höre mich selbst.
    »Archibald!«, rief ich, und plötzlich stellte der Hund die Ohren auf und zog den Schwanz zwischen die Beine. Er machte das riesige Maul mit einem weinerlichen Jaulen zu, setzte sich in Richtung Fluss in Bewegung, merkte, dass er dort nicht weiterkam, drehte sich im Halbkreis um sich selbst, sprang, als hätte er Federn unter den Pfoten, über den Zaun, der den Kiesweg von jemandes Kriegsgarten trennte, und verschwand.
    Einen Moment lang fühlte ich mich tatsächlich wie ein Held. Ich drehte mich um und sah Asja, die zu verarbeiten versuchte, was gerade geschehen war, ihre Hand brach mir immer noch die Finger, als über uns eine Granate pfiff und irgendwo in der Nähe einschlug. Alles rannte, außer uns.
    Wir hatten keine Beine zum Laufen, keine Lungen zum Atmen. Wir ließen uns einfach nur auf den Boden fallen und lagen dort, hielten uns an den Händen, während eins zwei drei Sirenen in unterschiedlichen Tonhöhen losheulten und den unendlichen Himmel über uns mit ihrer morbiden Symphonie erfüllten.
    Es fielen keine weiteren Granaten. Wir hielten am grau-weißen Himmel nach ihnen Ausschau, aber der Kies wurde unbequem, und wir rutschten näher zum Fluss, ins taufeuchte Gras. Als ich ihre Hand loslassen wollte, verhakte sie ihre Finger in meinen.
    »Wehe«, flüsterte sie.
    »Nein.«
    Sie schwieg. Ich fühlte mich ihr so nah wie nie.
    »Ich hab’s gehört«, sagte sie dann, immer noch flüsternd.
    »Was gehört?«
    »Dass ihr nach Schottland fahrt.«
    Asmir hatte eine britische Rettungssanitäterin kennengelernt und sie zu einigen unserer Aufführungen mitgenommen. Sie fand uns toll und fragte Asmir, ob sie zu Hause ein gutes Wort für uns einlegen solle, sie würde ein paar Theaterleute kennen. Asmir hatte ja gesagt und die Sache vergessen. Vor zwei Wochen bekamen wir dann plötzlich eine Einladung aus Edinburgh zur Teilnahme an einem Festival. Es sollte im August stattfinden, aber es gab nicht die geringste Aussicht, dass die Behörden uns fahren lassen würden. Bokal war bei der Armee, Asmir drückte sich davor, obwohl er schon fünfundzwanzig war, und sowohl Omar wie auch ich waren frisch eingezogen worden. Keiner kam raus, schon gar keine potenziellen Soldaten.
    »Niemand fährt irgendwohin. Wir wurden nur eingeladen, das ist alles.«
    »Du hast es mir nicht erzählt.«
    »Weil es nichts zu erzählen gab. Es war nur ein Brief. Wann hast du zum letzten Mal gehört, dass jemand einen Pass bekommen hat? Das ist unmöglich.«
    »Du hast es mir nicht erzählt.«
    Ich setzte mich auf und wollte ihre Hand loslassen, aber sie erlaubte es nicht.
    »Wehe, du lässt los.«
    Ich beugte mich von ihr weg, nur ein bisschen, aber sie zog mich auf sich und küsste mich fieberhaft. Es war irre, abgedreht, als würde mein Bewusstsein in jede Zelle meines Körpers fahren, als wäre ich dort an der Rundung meiner Lippen, in meiner Zungenspitze, auf meinem feuchten Rücken, wo sie ihre Hände kalt an mich drückte, und da unten, wo ich meine Erektion spürte. Es war wundervoll.
    Erst als die Sonne durch die Wolken stach und ein paar Kinder mit alten BMX-Rädern vorbeifuhren und sich über uns lustig machten, standen wir auf und beschlossen, dass wir jetzt ebenso gut meinen ursprünglichen Plan in die Tat umsetzen konnten. Wir überquerten die Schuhmenschenbrücke und sahen den Rauch hinter dem Schuhmenschenhaus. Der Name kommt von einer Zeichentrickserie für kleine Kinder, in der alle Figuren Schuhe sind. Die Serie ist schrecklich – grellbunt und seelenlos. Kurz vor dem Krieg wurde mitten in der Stadt ein Ungetüm von einem Gebäude aus dem Boden gestampft, und irgendein Genie hatte angeordnet, es in einer Kombination aus Pastellgelb, Pastellblau, Knallrosa und Braun zu streichen, weshalb es von den Einheimischen Schuhmenschenhaus genannt wurde.
    Die Granate von vorher war offenbar

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