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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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den Tassen an und tranken das Zeug. Es schmeckte entsetzlich, brannte aber ganz gut. Bokal lehnte sich zurück, der Korbstuhl stöhnte unter seinem massigen Körper. Er blickte auf die Reste der Zigarette im Aschenbecher.
    »Scheiß Mauern«, sagte er.
    »Was ist los, Bokal, willst du nicht nach Edinburgh?«, fragte ich ihn betont heiter. Er sah mich an wie einen glücklichen Idioten, und mir fiel wieder ein, dass er bei der Armee war und wahrscheinlich selbst dann leer ausgehen würde, wenn wir anderen durch irgendein Wunder Pässe bekämen.
    »Sieh dir das Bild an.« Er nickte zur Wand neben mir. Es war eine Art Karikatur der Innenstadt von Tuzla mit all ihren Wahrzeichen, die von einer riesigen weißen Schlange zusammengeschnürt wurde.
    »Weißt du, was das bedeutet?«, fragte er.
    »Ist das nicht aus einem Lied oder so?« Ich war irre stolz darauf, ein knallharter Punkrocker zu sein. Zuzugeben, dass ich mich mit Sevdalinka auskannte, hätte meinem schlechten Ruf geschadet. Ich nahm einen großen Schluck aus der Tasse, um zu unterstreichen, wie hart ich war.
    »Weißt du, wofür die Schlange steht?«
    »Die Mauer?«
    »Falsch.«
    »Was erzählst du da?«, fiel Asmir ein. »Füher war die ganze Innenstadt von einer Mauer umgeben. Teile davon stehen immer noch links oben im Banja Park, an der alten Waffenschmiede da oben.«
    »Ja, aber meinst du, jemand schreibt ein Lied über eine scheiß Mauer? Nein. Die Schlange ist die Armee von Omar Pasha, der aus Istanbul gekommen ist, um in dieser Gegend hier eine Rebellion niederzuschlagen. Als das gelungen war, umzingelten seine Soldaten die ganze Stadt, einfach nur, um die Macht der osmanischen Armee zu demonstrieren und dafür zu sorgen, dass niemand auf komische Ideen kam.«
    Es war verblüffend, das von Bokal zu hören, den wir eher als gewieften Checker kannten, als einen, der wusste, wie der Hase läuft.
    »Und was heißt das jetzt?«, fragte ich.
    »Das heißt, dass es eine Schnapsidee ist, sich einzubilden, wir könnten dem Würgegriff der Schlange entkommen.«
    Er trank seine Tasse aus und schob sie Asmir vor die Nase.
    »Branka hat gesagt, dass es möglich ist«, sagte Asmir und schenkte ihm, den Kellner immer im Blick, einen weiteren Johnnie ein, diesmal pur. Auch ich trank rasch aus und präsentierte Asmir meine leere Tasse.
    »Von wegen möglich. Wenn die jemanden gehen lassen, dann die Kleinen aus unserer Truppe. Ich, du, er, alle, die ein Gewehr tragen können, wir träumen bloß.«
    »Wenn es jemand hinbekommt, dann Branka. Sie wird sich dafür einsetzen, dass Omar fahren darf, und er ist genauso alt wie Ismet.«
    Branka war die Leiterin des Hauses der Jugend, in dem wir probten, eine durchsetzungsfähige Frau, die gut darin war, Sachen zu regeln, und die außerdem Omars Mutter war. Omar gehörte zu unserer Truppe, weil er die Musik für eines der Stücke in unserem Repertoire, eine Neuinszenierung von Saint-Exupérys Der kleine Prinz , komponiert hatte und spielte. Ich war der kleine Prinz. Omars kleiner Bruder Boro übernahm den kleinen Prinzen als Kind.
    »Was will sie denn machen? An General Lendos Stelle die Pässe unterschreiben?«
    »Richard Bach hat gesagt, wenn man etwas wirklich will, dann wirkt das Universum darauf hin, dass du es erreichst.« Es sah Asmir ähnlich, haarsträubende New-Age-Zitate aus dem Hut zu zaubern. Bokal sprang auf, ballte die Fäuste und schloss die Augen.
    »Pass auf, ich will wirklich meine Niere wieder haben«, sagte er, machte die Augen auf, zog sich sein Polohemd aus der Jeans und zeigte uns seine Operationsnarbe. »Huch, Pech gehabt. Ist immer noch weg.«
    Dann ging er zum Tresen.
    Draußen neigte sich der Tag seinem Ende entgegen und die dünnen, erschöpften, vergnügungshungrigen Menschen belegten die Sitzplätze im Garten.
    »Typisch Bokal«, sagte Asmir, »keine Zuversicht.« Er packte mich am Unterarm, um mich zu zwingen, ihn anzusehen. »Wir fahren nach Edinburgh, denk an meine Worte.«
    Und irgendwie wusste ich, dass es stimmte. Das war Asmirs Macht. Er war zwar scheinheilig, aber es gab nie einen Grund, an seiner Überzeugung zu zweifeln.
    »Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte ich.
    »Was machst du mit Dunda?«, fragte er dann. Asja wurde von allen Dunda genannt. Die Frage traf mich völlig unvorbereitet. Eine Art Panik rauschte mir durchs Gehirn und in die Knochen. Da saß ich, wünschte und betete, diese Stadt zu verlassen, glaubte fast, ich sei schon draußen, und nicht einmal hatte ich an sie

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