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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germán Kratochwil
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keiner der Anwesenden folgte dem Vater und ihr. Sie standen fassungslos herum, das grüne Dokument gleichsam schamhaft vor ihrem Schoß haltend. Die alte Paukenschlägerin war sichtlich unentschlossen, ob sie auch diesen Aufruhr mit ihrem Instrument begleiten sollte. »Rhythmus, los, los!«, rief ihr Katha zu. Aber sie mochte wohl keiner Aufmunterung von der Tochter des Projektleiters folgen und ließ den mit Schafwolle umwickelten Schlegel sinken.
    Katha begleitete den Vater zu dem Tischchen mit den Getränken. Sie schenkten sich zwei Plastikbecher mit Gingerale ein. Katha legte einen Arm um Martins Hals und küsste ihn auf die Wange. »Hey, Che, das war doch Spitze!« Ing. Jones trat aufgebracht und eilig an sie heran. Er könne das nicht verstehen, klagte der Bürgermeister, und noch viel weniger könne er darin einen Spaß erkennen. »Das ist ja auch kein Spaß«, kam Katha mit ihrer Antwort dem Vater zuvor: »Wir lieben die Mapuche.« »Das ist verrückt!«, konterte Ing. Jones. »Verrückt, vielleicht«, gab der Vater zu, »was ist nicht verrückt an dem Ganzen?« Und dabei spähte er nach der Transparentträgerin.
    Die Mehrzahl der Stammesvertreter besprachen sich auf Mapudungun, einige kamen an das Tischchen und füllten ihre Plastikbecher nach. Dabei drängten sie sich an Katha, Martin und Ing. Jones vorbei, vermieden es aber tunlichst, einen von ihnen anzusprechen oder auch nur anzuschauen. Es war, als wären hier zufällig zwei einander völlig fremde Organisationen zusammengetroffen, und als wollten deren Mitglieder nur ihren Becher Cola oder Gingerale ergattern. Die Flagge war wieder eingerollt worden. Der Vater winkte den lonko und seine militante Begleiterin herbei.
    »Nein Pa, los, wir gehen!«, sagte Katha entschlossen zu ihrem Vater und riss ihn vom Tischchen weg. Er konnte nur dem verwirrten Bürgermeister zusichern, dass sie sich zum Silvesterfest treffen würden. Der aufgelösten Versammlung riefen sie laut zu »Wir wünschen euch ein gutes neues Jahr!« Diesmal nahmen es alle Indios sofort zur Kenntnis, antworteten ihrerseits ebenfalls mit Neujahrswünschen, beinahe unisono und offensichtlich darüber erleichtert, dass nach dem chaotischen und verblüffenden Ende der Sitzung endlich etwas Normales geschah; sie winkten sogar erfreut unter ihren Ponchos, was schwerfällig wie bei einem Flugversuch der Alke wirkte, die bekanntlich nicht abheben können. Die Matrone mit der kultrún gab ihre Antwort mit ein paar Paukenschlägen, sozusagen auf Ur-Morse. Auch die Schöne blitzte ihnen mit ihren schwarzen Augen und prächtigen Zahnreihen zu, eher verschmitzt, einlenkend, einladend. Der Vater zögerte wieder, wollte anhalten, sich ihr nähern, aber Katha hakte sich energisch bei ihm unter, begann fröhlich zu hüpfen und zog ihn mit sich. »Komm, komm, lass das sein, auf dieser Reise gehörst du mir!«
    Auf dem Weg zum Hotel bat er sie, die Oma anzurufen. Katha solle ihr schon einmal einen schönen Silvesterabend wünschen. Dachte er vielleicht, dass sie das in drei Stunden nicht mehr schaffen würde? Aber egal, sie hatte viel zu erzählen.
    »Hast du den Stein mitgenommen, Pa?«
    »Nein, du wirst es nicht glauben, ich habe gesehen, wie ihn der lonko wieder in seiner Tasche verstaut hat.«
    »Vielleicht ist er doch so etwas wie eine Reliquie.«
    Als sie die Oma am Apparat hatte, berichtete Katha ihr begeistert von dem Treffen mit den Mapuches, wie diese ihr altes Lied gesungen und wie Papa und sie die Projektpapiere über ihren Köpfen zerrissen hätten. Offenbar verstand die Greisin nichts, oder hörte ihr nur halb zu, denn sie war vom Silvestertisch aufgestanden, und dort erzählte Dr. Königsbergs unverkennbare Stimme etwas sehr Erheiterndes, wie es das Gelächter der Tafelrunde verriet. Die Oma war wohl mit dem anderen Ohr dabei, denn Katha musste ihre Geschichte wiederholen. Dann wieder verstand Katha die Oma nicht und fragte mehrmals, was oder wer denn Haggis sei. Ob sich die Oma vorstellen könne, dass man an das Sanktuarium der Lady Di eine Irrenanstalt angeschlossen habe? Das solle sie nur ihrem verehrten Dr. Königsberg erzählen, der interessiere sich doch für solche Narreneinrichtungen. Aber es sei ihren Verfolgern nicht gelungen, sie dort festzuhalten. Am frühen Morgen habe sie mit den Walen sprechen können, dann aber habe Roberto Williams die Tiere manipuliert und zu groben Beschimpfungen gegen Lady Di aufgehetzt. Wenn der Gorilla an Bord nicht dazwischengetreten wäre, hätte sie

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