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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germán Kratochwil
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Roberto umgebracht. Der Vater stand neben ihr und bat sie mehrmals, ihn ebenfalls sprechen zu lassen. Endlich nahm er ihr den Hörer aus der Hand, nur um auszurufen: »Mama, ja, ja … es ist alles in bester Ordnung, es ist alles in wunderbarer Ordnung. Feiert nur schön. Wir sind morgen kurz nach Mittag in Quemquemtréu. Prosit euch allen dort oben …« Katha entriss ihm wieder den Hörer und schrie »Auch von Lady Di!«, aber auf der anderen Seite hatte man schon aufgelegt.
    »Siehst du, jetzt hat Oma schon aufgehängt und wir haben ihr nicht alles von heute erzählen können«, schmollte sie dem Vater.
    »Katha, du weißt, eine stehende Formel von Mama lautet: ›Da mach ich kurzen Prozess‹, das gilt allgemein, das richtet sich nicht gegen dich.«
    Für das Abendessen behielt Katha die Jeans an. Sie wollte sich nicht zu stark von des Vaters grobem casual style unterscheiden. Zwar probierte sie zuerst, eher spielerisch und um sich zu gefallen, ein nabelfreies Top aus – ihr Bauch, flach wie der eines Models und ihr Nabel von Natur senkrecht oval mit einem kleinen Knopf in der Mitte –, aber dann entschied sie sich doch wieder für die weiße Rüschenbluse. Schließlich war das eine Silvesterfeier mit zwei älteren Herren. Ing. Jones hatte einen üblen Eindruck auf sie gemacht. Bestimmt kam er mit seiner Frau, und bestimmt war sie dick. Sie bürstete heftig ihr Haar, schaute sich dabei im Spiegel zu und musste immer wieder lachen, wenn sie sich an die verdutzten Gesichter der Mapuche erinnerte. Der Vater klopfte an ihre Zimmertür. Er werde vor dem Hotel auf sie warten und eine Pfeife rauchen; das Restaurant sei gleich um die Ecke. »Und ich verspreche dir, dass ich den Internetanschluss des Hotels ignorieren werde.«
    »Great, Pa!«, rief sie ihm zu.
    Als sie zusammen das Lokal betraten, waren bereits viele Tische mit lärmenden Gästen besetzt. Girlanden und Luftballons hingen von der Decke. Anschließend an den Speisesaal erstreckte sich ein Holzdeck bis weit in den mit Lampions geschmückten und beleuchteten Garten. Das Deck diente als Tanzfläche, und einige ältere Paare schoben sich darauf herum. Vater und Tochter waren die Ersten, die sich an den von Ing. Jones reservierten Tisch setzten. Katha bestellte sofort eine Flasche Weißwein. Der Vater sah jetzt wieder müde aus; ohne seinen üblichen Aktivismus fiel ihr erstmals auf, wie ähnlich er doch auch ihrem Bruder war. Wie unerträglich muss es für Gabo gewesen sein, in der Nähe des Che erwachsen, selbständig zu werden. Mit zunehmendem Alter muss er dieses dem Vater Immer-ähnlicher-Werden verabscheut haben. Er wollte gewiss nur Gabriel Holberg sein, gewiss kein Klon von Martin. Der starke Sohn kann den Vater zerstören, der schwache nur sich selbst; schließlich ist Gabo dem Kampf ausgewichen, hat das Elternhaus verlassen, mehr noch, hat Zuflucht in einer Sekte gesucht. Ich habe überhaupt keine Ähnlichkeit mit diesen beiden. Ich bin meiner Mutter nachgeraten – Mama, du bist nicht tot! – und allenfalls in einigen Zügen der unsterblichen Oma. Darum kann ich den Vater lieben, ohne mich zu vernichten. Das ist die Gesundheit, die mir der Traum der vergangenen Nacht angekündigt hat. Mit dieser neuen Gesundheit will ich das neue Jahr beginnen. Inzwischen hatte ihnen der Kellner schon eingeschenkt und sie hob ihr beschlagenes Glas.
    »Hey, Che, wollen wir schon einmal auf dein zerfetztes Projekt trinken, bevor dieser Jones kommt?«
    Sie tranken sich zu, der Vater sah sich suchend um.
    »Hier wird sie nicht feiern, deine Mapuche-Prinzessin«, neckte sie ihn.
    »Du unterdrückst mich ganz schön«, beklagte er sich.
    Später, schon in fortgeschrittener Silvesternacht, nachdem sie mehrmals ausgelassen mit unbekannten jungen Leuten getanzt hatte, nahm Katha, erhitzt und von heftigem Atemholen unterbrochen, den immer noch fassungslosen Ing. Jones aufs Korn: Er musste ihr wiederholt und zuletzt fast verzweifelt beschwören, dass er kein Wort Walisisch spreche! Hilfesuchend blinzelte er zwischendurch zum Vater hinüber und suchte auf dem Tisch die beruhigende Hand seiner tatsächlich fülligen Ehefrau. Aber sie hatte viel getrunken. Er spreche nicht mit den Walen, wie sein Landsmann Roberto Williams in Puerto Pirámides? Gut, aber vielleicht könne er sich zumindest mit den Bäumen der umliegenden Wälder unterhalten? Wie – auch kein Wort? Was ist er nur für ein Bürgermeister! Da seien seine Mapuche wirklich aus einem ganz anderen Holz geschnitzt:

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