Scherbenherz - Roman
fiel.
Sie waren zu zweit – ein hellhäutiger Mann und eine hübsche Asiatin, Schulter an Schulter unter dem Vordach –, wie aus einem Werbespot für gelungene Rassenintegration im Polizeidienst. Anne wappnete sich instinktiv gegen eine Offerte von Hochglanzbroschüren und Schlüsselanhängern als Gegenleistung für eine Spende, bis sie merkte, dass keiner der beiden Fremden lächelte.
»Mrs. Redfern?«, begann der Mann, und die silbernen Zahlen auf seinen Epauletten glitzerten im vormittäglichen Licht.
»Ja, bitte?«
»Es geht um Ihren Mann.« Er hatte rosa Hängebacken, kleine Knopfaugen und einen irgendwie liebenswürdigen Zug um den Mund. Er wirkte wie jemand, der eigentlich an der frischen Luft Trockensteinmauern baut und dicke Schinkenbrote isst. Anne bekam Mitleid mit ihm angesichts der Mühe, mit der er sich artikulierte. Es entstand eine kurze Pause. Offensichtlich erwartete er, dass Anne etwas darauf sagte.
»Ja und?«
»Tut mir leid, aber es ist etwas Schlimmes passiert.«
Anne fühlte, wie eisige Kälte in ihre Knochen kroch, blieb jedoch kerzengerade und reglos in der Türöffnung stehen. Der Polizist quittierte ihre Selbstdisziplin mit Erleichterung. Die hübsche Asiatin streckte die Hand nach ihrem Arm aus. Anne spürte die Berührung, und obwohl ihr körperliche Nähe dieser Art normalerweise zuwider war, empfand sie diese sofort als seltsam tröstlich.
Der Mann redete auf sie ein, berichtete, dass Charles auf dem Fahrrad angefahren und ins Krankenhaus gebracht worden und noch immer bewusstlos sei: Er lebte – sozusagen gerade noch.
Gerade noch. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, wie seltsam es doch war, dass zwei karge Worte so bedeutungsschwer sein konnten.
Dann redete die Polizistin von den Vorzügen einer stärkenden Tasse Tee, davon, dass man sie ins Krankenhaus bringen würde, und ob es jemand gebe, den sie anrufen könne. Und Anne merkte, dass sie nicht an Charles oder seinen Zustand dachte oder wie besorgt sie hätte sein müssen, sondern sie hatte stattdessen das geradezu unsinnig klare Bild von vier ungeschälten Karotten vor Augen, die sie zum Abtropfen in einem Sieb im Spülbecken zurückgelassen hatte.
Sie entgegnete den Polizisten, dass sie mit ihrem eigenen Auto ins Krankenhaus fahren werde.
»Sind Sie sicher?«, erkundigte sich der Beamte mit sorgenvoll über der Nasenwurzel zusammengezogenen Augenbrauen.
Sie nickte und lächelte mit Nachdruck.
»Ist es nicht besser, wir kommen kurz rein und leisten Ihnen ein wenig Gesellschaft?«, fragte die Polizistin, und ihr Blick glitt über Annes Schulter hinweg in die Diele.
»Nein, wirklich nicht nötig. Mit mir ist alles in Ordnung«, entgegnete Anne bestimmt. »Vielen Dank«, und damit schloss sie die Tür, bevor die beiden noch etwas sagen konnten. Der Rindfleischeintopf. Sie musste sich wieder um den Rindfleischeintopf kümmern.
Auf dem Weg zurück in die Küche kam sie an dem hässlichen hölzernen Hutständer am Fuß des Treppenaufganges vorbei. Charles hatte ihn eines Abends vor etlichen Jahren kommentarlos dort deponiert. Auf ihre Frage, wo er her sei, hatte er kühl geantwortet, ein Kollege habe ihn loswerden wollen. Der Ton seiner Stimme hatte jeden Protest im Keim erstickt.
Anne sah in diesem Hutständer einen ausgemacht nutzlosen, überflüssigen Gegenstand. Trotzdem hatte er einen permanenten Platz in der Diele erhalten, wo er gleich einem krummwüchsigen Baum bizarre Schattenrisse auf die Fußbodenfliesen warf, die Äste knorrig und deformiert wie rheumageschädigte Gliedmaßen.
Sie hatte sich mittlerweile so an ihn gewöhnt, dass sie ihn normalerweise keines Blickes würdigte. Diesmal jedoch fiel ihr auf, dass Charles’ Fahrradhelm noch an einem der unteren Haken hing. Sie zuckte zusammen. Mit einem Mal tauchte ungebeten vor ihrem inneren Auge das Bild eines blutüberströmten, wie eine überreife Frucht verformten menschlichen Schädels auf. Sie drängte den Gedanken weit in den Hintergrund ihres Bewusstseins und kehrte zum Schneidebrett mit dem Gemüse zurück.
Zwanzig Minuten lang schälte Anne Karotten und würfelte Kartoffeln und schnitt das marmorierte rote Rindfleisch in grobe Stücke, das sich weich und kühl auf ihrer Haut anfühlte. Als sie die Plastiktüte beiseiteschob, in die der Metzger das Fleisch gepackt hatte, hinterließ diese eine Tropfspur wässrigen Blutes in den Rillen der Ablagefläche des Spültischs. Anne erschauderte und wischte alles hastig mit einem Lappen auf.
Sie gab
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