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Scherbenherz - Roman

Scherbenherz - Roman

Titel: Scherbenherz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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schauen.«
    Anne fiel keine passende Antwort ein. Er sah sie nur weiter lächelnd an. Obwohl sie normalerweise nie rot wurde, fühlte sie, wie ihr ungewohnte Wärme in die Wangen stieg.
    »Ist viel einfacher, jetzt gleich Ja zu sagen. Andernfalls muss ich weiter hinter dir herhecheln, und du musst weiter so tun, als würdest du mich übersehen.«
    »Wie kommst du darauf, dass ich nur so tue?«
    »Keine Ahnung … vielleicht ist es deine Körpersprache. Wenn du dich auf eine Vorlesung konzentrierst, sitzt du ganz aufrecht. Wenn du mit Freunden plauderst, bist du ständig in Bewegung und dein Haar schwingt hin und her. Wenn du so tust, als würdest du mich geflissentlich übersehen, verharrst du absolut bewegungslos und starrst konzentriert in eine andere Richtung, aber da ist etwas … vielleicht ein kaum merkliches Zucken. Besser kann ich’s nicht ausdrücken.«
    »Ein Zucken?«
    »Ja. So als würdest du dich schlafend stellen, kannst es aber nicht ganz durchhalten. So eben.«
    Im ersten Moment verschlug es ihr die Sprache. Er sah sie nur weiter an, ernst und so durchbohrend, dass sie sich der Wirkung nicht entziehen konnte. Er schien die Situation unter Kontrolle zu haben, schien sie unauffällig dorthin zu manövrieren, wo er sie haben wollte – mit Vorbedacht und unbeirrt. Sein ruhiges, zielgerichtetes Beharren war einschüchternd und schmeichelhaft zugleich. Die ausschließlich ihr geltende Aufmerksamkeit war entwaffnend.
    Dann, gerade als sie seine Einladung annehmen und sagen wollte: »Okay, lade mich zu einem Drink ein, das finde ich nett«, lächelte er, hob die rechte Hand bis zu ihrer Wange und schob ihr – so schnell, dass sie hinterher nicht wusste, ob sie es sich nur eingebildet hatte – tatsächlich eine Haarsträhne hinters Ohr, wobei seine Fingerkuppe leicht über ihren Nacken strich. Anne sog scharf die Luft ein. Dann wandte er sich ab und ließ sie einfach stehen.
    Nach diesem Vorfall war auch sie ihm unausweichlich verfallen. Eine Woche später traf sie ihn erneut in der Bibliothek. Er saß an dem langen Refektorium im Lesesaal und drehte sich eine Zigarette.
    »Hallo, Charles.«
    Er sah auf, und ein Lächeln glitt allmählich über sein Gesicht.
    »Anne Eliott«, sagte er und leckte das Zigarettenpapier an. »Wann willst du auf einem Drink mit mir ausgehen?«
    Sie radelten an einem windigen, grau verhangenen Tag übers Land, zwischen Weiden hindurch, die sich rechts und links wie feuchte Pinselstriche flach am Horizont verloren, zu einer Kneipe in Grantchester. Schwäne überzogen wie weiße Punkte das Ufer, die sich elegant vom schlammig braunen Wasser abhoben. Charles fuhr voraus. Anne folgte ihm atemlos. Sie starrte auf seinen Rücken, beobachtete, wie sich seine Schultern auf der Fahrt über den holprigen Untergrund hoben und senkten. Sein Haar war gerade so lang, dass sich der Wind darin fing. Er überzeugte sich ständig davon, dass sie ihm folgte, wandte den Kopf gerade weit genug in ihre Richtung, um ihren Blick aufzufangen. Alles war so, wie es sein sollte.
    Später, nachdem sie ihr Alsterwasser getrunken hatte, küsste er sie flüchtig auf die Lippen und bemerkte, sie schmecke nach Brause. Noch etwas später begleitete er sie zurück zum Newnham College, wo er sie sanft gegen die rote Ziegelmauer drängte, ihr Gesicht in beide Hände nahm und sie wortlos auf Mund, Wangen und Augenlider küsste. Danach – Herrenbesuch war über Nacht nicht erlaubt – verabschiedete er sich, und sie ging in ihr Zimmer hinauf, prickelnd vor Glück wie Brausepulver.
    Als sie Charles zwei Monate später bei ihren Eltern zu Hause in Kent einführte, waren diese erwartungsgemäß entzückt.
    »Liebes, er ist wundervoll«, flüsterte ihre Mutter theatralisch, sobald ihr Vater Charles auf sein Zimmer im ersten Stock geleitet hatte. »Ein Glückstreffer! Absolut!«
    Beim Abendessen hatte Charles Mrs. Eliotts auf den Punkt gegarten, innen rosa gebliebenen Lammbraten gelobt, so dass Annes Mutter vor Wonne fast die Soßenterrine aus der Hand geglitten wäre und sich der Inhalt beinahe über die gestickte Leinentischdecke ergossen hätte. Er verwickelte Mr. Eliott in eine lange, kompetent geführte Diskussion über die Menschenrechtsbewegung in den USA, ohne sich auf eine Meinung festzulegen, die übertrieben streitbar oder unangenehm radikal hätte erscheinen können. Er entsprach in jeder Beziehung dem Wunschbild des perfekten Schwiegersohns.
    »Ein verdammt netter Bursche, Annie«, erklärte der Vater im

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