Scherbenmond
abgelaufen. Die werden ja nicht mehr produziert.«
»Verfallsdatum«, erwiderte ich verständnislos.
»Ja. Die können schlecht werden. Aber das müssen wir riskieren. Außerdem brauche ich eine XL-Kamera, damit wir im Dunkeln aufzeichnen können. Mit den normalen Super-8-Geräten geht das nicht. Und wir müssen wach bleiben.« Tillmann hob den Kopf und sah mich an. »Die Filmrollen haben eine Aufnahmezeit von drei Minuten zwanzig Sekunden.«
»Drei Minuten? Das können wir vergessen!«, rief ich enttäuscht.
»Abwarten. Jedenfalls brauche ich eine Kreditkarte. Ich muss den Kram sofort kaufen und er sollte so schnell wie möglich verschickt werden. Das machen die Anbieter meistens nur bei Bezahlung über Kreditkarte.« Tillmann musterte mich fordernd.
»Ich hab keine Kreditkarte!«
»Dein Bruder schon. Sein Geldbeutel liegt draußen auf dem Flurtischchen. Ellie, bitte, das merkt der erst, wenn die Abrechnung kommt. Falls er bis dahin noch lebt.«
Und falls nicht, erbte François all seine Reichtümer - samt Porsche - und der Zweck heiligte bekanntlich die Mittel. Ich schoss in den Korridor, zog Pauls Visacard aus dem Geldbeutel und gab sie Tillmann, der sich mehrere Nummern abschrieb und sie mir dann wieder überreichte.
»Das war’s. Kannst sie zurücktun.« Er wandte sich erneut dem Laptop zu und begann, die verschiedenen Angebote bei eBay zu durchforsten.
»Wie teuer wird das denn?«
»Dein Bruder wird es verkraften. Eine Kamera, Filmkassetten, ein Projektor mit Leinwand, ein paar Chemikalien und ...«
»Chemikalien?«, fragte ich misstrauisch.
»Ja. Zum Entwickeln. Oder willst du Filmaufnahmen vom Angriff eines Nachtmahrs in fremde Hände geben? Außerdem haben wir nicht die Zeit für solche Scherze. Ich werde den Kram selbst entwickeln.«
Tillmann antwortete nur noch unwillig. Ich war ihm lästig. Aber mir konnte sein Feuereifer nur recht sein. Je schneller wir Paul einen Beweis liefern konnten, desto besser. Und ich hatte schließlich auch ein paar Sachen zu erledigen, obwohl sie mir wesentlich unattraktiver erschienen als das, was Tillmann vorhatte. Es waren Hausfrauentätigkeiten. Heute war Freitag. Mir blieben kaum mehr als vierundzwanzig Stunden, um ein Abendessen zu organisieren. Höchste Eisenbahn, Paul einzuweihen. Er durfte nicht auf die Idee kommen, morgen Abend etwas zu unternehmen.
»Hey!«, rief Tillmann, als ich mich zurückziehen wollte. »Ich brauche den Volvo.«
»Du hast keinen Führerschein, Tillmann.«
»Meine Herren, bist du neuerdings mit dem Gesetz verheiratet? Was ist nur los mit dir, Ellie? Als ich dich mitten in der Nacht zu Colin und Tessa bringen sollte, war es dir scheißegal, ob ich einen Führerschein hatte oder nicht. Da hast du einfach gemacht und nicht lange gefragt.«
»Aber jetzt bin ich verantwortlich für dich, kapierst du das nicht?«
»Bist du nicht. Nicht die Bohne. Ich kann allein auf mich aufpassen. Okay, anderer Vorschlag: Du chauffierst mich quer durch Hamburg nach Fuhlsbüttel. Dort steht nämlich eine Kamera samt Zubehör zum Verkauf, die ich abholen könnte. Und ganz ehrlich, Ellie, nach unserer Fahrt hierher weiß ich, dass es gefährlicher ist, wenn du am Steuer sitzt. Du fährst wie eine gesengte Sau. Und du bist mit den Gedanken ständig woanders.«
»Okay, bitte schön!«, fauchte ich und warf ihm den Autoschlüssel auf die Knie. »Du kannst so penetrant sein! Mann!«
Tillmann grinste nur, bevor er sich wieder eBay zuwandte. Ich holte mir zwei Tassen Kaffee aus der Küche, drückte mit dem Ellenbogen die Türklinke zu Pauls Zimmer herunter und schob mich vorsichtig hinein.
Paul lag auf der Seite, das Gesicht von mir weg zum Fenster gerichtet. Ich blieb starr stehen. Ich hörte kein einziges Atemgeräusch. Aber Tillmann hatte doch gesagt...
»Ich bin wach.« Paul richtete sich mühsam auf und lehnte sich an das Kopfteil des Bettes. Seine Haare bildeten ein zerzaustes Vogelnest und auf der linken Wange hatten die Falten des Kopfkissens tiefe Schlafnarben hinterlassen. Er sah aus, als habe er schwere Kämpfe ausgefochten. »Seit zwei Minuten. Warum musst du die Tür so knallen?«
»Hab ich das?«, fragte ich und setzte eine unschuldige Miene auf. »Hier, Kaffee für dich.«
Paul klopfte einladend neben sich auf das Kissen. »Und für dich, wie ich sehe. Na komm schon zu mir, Lupinchen.« Er griff nach der Fernbedienung der MP3-Stereoanlage, die auf der Kommode stand, und wählte eine seiner Chill-out-Sammlungen aus. Während meiner
Weitere Kostenlose Bücher