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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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musste? Doch noch konnte ich mich nicht dazu überwinden. Noch war die Angst zu groß. Ich wartete auf ein Zeichen, das mir bedeuten würde, zu ihm zu fahren - aber was, wenn dieses Zeichen niemals kam? Und er mich irgendwann aufgab?
    Auf dem Rückweg vom Badezimmer schnappte ich mir Pauls
    Laptop, der wie fast immer auf einem der Wohnzimmersessel lag, weil er wieder stundenlang im Internet Konsumgüter verglichen hatte. Tillmann hatte sich inzwischen angezogen, die Chipkarte aus der Kamera entfernt und in das Lesegerät gesteckt, das er mit einem geübten Handgriff an den Laptop anschloss.
    »Fuck ...«, fluchte er leise, als sich das Fenster mit den Dateiinformationen öffnete.
    »Was denn? Stimmt was nicht?«, fragte ich ungeduldig und äugte ihm über die Schulter, obwohl ich es selbst hasste, wenn das jemand bei mir tat.
    »Die Dateimenge ist viel zu gering. Nur vierzehn Megabyte. Die Chipkarte fasst aber sieben Gigabyte.«
    »Jetzt mach! Spiel den Film ab!« Ich wollte ihm schon den Kasten aus der Hand reißen, als die Eieruhr erschien und sich der Mediaplayer öffnete. Er präsentierte uns Paul, wie er im Bett lag und schlief, und das kam mir im ersten Augenblick so privat vor, dass ich mich beschämt abwandte.
    »Stell dich nicht so an, Ellie«, sagte Tillmann gelassen. »Vorhin hast du dich noch auf mich geschmissen und es war dir auch nicht peinlich.«
    »Ich hab mich nicht auf dich geschmissen! Außerdem war es mir sehr wohl peinlich.«
    Tillmann reagierte nicht auf meinen Protest. Er bewegte den Rollbalken nach rechts. Paul schlief immer noch, nun auf dem Rücken. Dann flackerte das Bild kurz. Und erlosch. Die Aufnahme war zu Ende.
    »Kacke!«, knurrte Tillmann. »Ich hab es geahnt. Die Kamera ist ausgegangen.«
    »Ist denn gar nichts drauf? Keine Hinweise? Geh zu den letzten Sekunden und dreh die Lautstärke voll auf.« Ich hatte einen nicht gerade höflichen Befehlston am Leib, aber Tillmann würde schon damit umgehen können. Er fasste mich schließlich auch nicht mit Samthandschuhen an. Und oh Wunder - er tat, was ich sagte.
    Pauls Schnarchen drang aus den Lautsprechern, unregelmäßig und gequält. Ich konzentrierte mich so stark auf die Filmgeräusche, dass ich glaubte, die Flimmerhärchen in meinem Gehörgang vibrieren zu spüren.
    »Stopp!«, rief ich. »Noch mal zurück.«
    Jetzt hörte Tillmann es ebenfalls. Ein kaum wahrnehmbares, gleichmäßiges Plätschern. Schwimmzüge.
    »Wir haben uns also nicht geirrt. Es kommt aus dem Wasser«, stellte Tillmann zufrieden fest. Insgesamt konnten wir fünf Schwimmzüge ausmachen. Dann brach die Aufnahme ab. Tillmann schüttelte entschlossen den Kopf.
    »Das kannst du in der Pfeife rauchen. Der setzt die außer Betrieb, bevor er überhaupt an der Wand hochklettert. Oder sie.«
    »Es ist ein Er.«
    »Woher weißt du das?« Tillmann blickte mich fragend an.
    »Keine Ahnung. Ich weiß es einfach. Ein Gefühl.« Ich rubbelte meine Arme, um die Gänsehaut abzustreifen, die meinen gesamten Oberkörper befallen hatte. »Na toll. Jetzt haben wir sechshundert Euro in den Sand gesetzt und sind kein bisschen schlauer.«
    Ich zog das Lesegerät aus der USB-Buchse und wollte den Laptop zuklappen, doch Tillmann schob seine Hand dazwischen.
    »Halt. Ich hab eine Idee, wie es klappen könnte. Ich werde versuchen, eine Super-8-Kamera zu kriegen.«
    »Was genau verstehst du unter >kriegen    »Kaufen, ersteigern, im Notfall klauen.« Tillmann loggte sich ins Internet ein und rief eBay auf. »Super 8 ist ein altes Filmformat aus den Siebzigern. Mein Dad hatte so eine Kamera, von meinem Opa. Er hat sie zu den Exkursionen mitgenommen. Total unpraktisch, das Teil, aber eben nicht digital. Vielleicht funktioniert es damit.«
    Ich musste - wenn auch unwillig - zugeben, dass mir Tillmanns pragmatische Logik beim Lösen unseres Problems imponierte. Gleichzeitig fühlte ich mich langsam, aber sicher vollkommen überflüssig in diesem Spiel. Alles, was ich bislang getan hatte, war, eine Journalistin zu verschrecken und ein Abendessen auszurichten. Dabei konnte ich nicht einmal kochen. Ich verschwand erneut ins Badezimmer, um zu duschen, stellte Kaffee auf und ging zurück in unser Zimmer. Tillmann hackte mit gerunzelten Brauen auf dem Laptop herum.
    »Also ...«, sagte er, ohne aufzusehen. »Das Ganze ist nicht so einfach. Ich krieg bei eBay sowohl eine Kamera als auch Filmkassetten, da gibt’s einige Angebote. Doch das Verfallsdatum der Filme ist schon lange

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