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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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eine prall gefüllte Sporttasche. »Wo ist Paul? Wie geht es ihm? Ist alles okay? Hast du die Kamera bekommen?«
    »Vorsicht, heiß.« Tillmann drückte mir einen Becher in die Finger. »Trink so schnell wie möglich.«
    Er ließ die Sporttasche auf den Boden gleiten und stellte seinen Pappbecher auf den Schreibtisch. »Paul geht’s gut. Die beiden waren den ganzen Nachmittag in der Sauna. Jetzt sitzen sie unten im Jaguar und streiten.«
    Ich verzog angewidert das Gesicht. Paul und François zusammen in der Sauna, das wollte ich mir nicht ausmalen, was meine Vorstellungskraft aber herzlich wenig interessierte. Sie tat es einfach, ohne mich zu fragen.
    »Was ist da drin?« Ich löste den Deckel vom Pappbecher und schnupperte. Das Kaffeearoma war so stark, dass ich zurückwich und hustete.
    »Zwei doppelte Espresso.« Tillmann holte eine wuchtige Kamera aus der Tasche. »Hast du das Loch vergrößert?«
    Ich nickte nur. Tillmann hatte mich mittags auf dem Handy angerufen, mir befohlen, bis abends nichts mehr zu essen und das Loch in der Wand zu erweitern, da die neue Kamera ein wesentlich größeres Objektiv hatte. Jetzt hatte ich einen gähnend leeren Magen und noch mehr Blasen an den Fingern und zudem immer noch nicht das Essen für morgen Abend geplant. Doch das Loch besaß den benötigten Durchmesser.
    »Ich hab das Auge der Schlange komplett aus der Leinwand geschnitten und es dann mit doppelseitigem Klebeband befestigt. Sonst würde es auffallen. Wir müssen es nur noch entfernen, sobald Paul schläft. Schläft er denn überhaupt hier?« Ich konnte kaum verhindern, dass mir meine Hoffnung anzumerken war. Wenn Paul bei François schlief, würde der Mahr nicht kommen. Wir hätten eine ganz normale Nacht. Wir könnten uns einfach hinlegen und schlafen.
    »Ja. Deshalb streiten die doch gerade. Paul ist k.o. von der Sauna und will nur noch in sein eigenes Bett. Allein. Und François fühlt sich mal wieder verraten. Dabei konnte er doch den ganzen Tag an deinem Bruder rumfummeln. Und ich konnte mich in der Galerie in Ruhe mit der Kamera beschäftigen.«
    Wir hörten die Tür ins Schloss fallen und verstummten. Wir hatten unser Zimmer schon vor Tagen zur Privatzone erklärt und Paul gebeten, in Zukunft anzuklopfen. So hatten wir immer genug Zeit, eventuelle Verdachtsmomente zu beseitigen. Die natürliche Folge dieser Abmachung war, dass Paul dachte, Tillmann und ich hätten ein Techtelmechtel miteinander. Das war zwar unangenehm, aber notwendig.
    Doch Paul klopfte nicht an. Er rief nur gähnend: »Gute Nacht, Lupine!«, dann begann im Bad das Wasser zu rauschen. Er würde sich also sofort hinlegen und nicht mehr fernsehen. Sehr gut.
    Tillmann brachte die Kamera auf dem Regalbrett an und legte eine urtümliche Filmkassette ein. Anschließend drehte er sich zu mir um und seine wissende Miene verriet mir, dass ein kleiner Vortrag folgen würde.
    »Trinkst du bitte mal deinen Espresso? Wenns geht, auf ex.« Ich nahm brav einen Schluck und schüttelte mich. Er war komplett ungesüßt und schmeckte wie Teer.
    »Wir müssen alles versuchen, um wach zu bleiben. Wenn man Hunger hat, kann man nicht gut einschlafen«, dozierte Tillmann, ging zum Fenster und drehte die Heizung auf null herunter. »Ebenso wenn einem kalt ist. Das mit dem Espresso muss ich ja wohl nicht erklären.«
    Nein, musste er nicht. Würgend kippte ich den Rest meine Kehle hinunter. Tillmann nahm mir meine Wasserflasche aus der Hand und stellte sie auf das oberste Regalbrett. »Nichts mehr trinken. Wir dürfen den Kaffee nicht verdünnen. Aber das Wichtigste ...«
    Er kniete sich hin und holte zwei MP3-Player aus der Sporttasche. Der eine gehörte ihm, der andere war neu und zweifelsohne von Pauls Kreditkarte bezahlt worden. Oder von meinem Geld, das ich schon lange nicht mehr nachzählte.
    »Musik?« Ich sah Tillmann fragend an.
    »Du hast mir damals im Wald gesagt, ich dürfe nicht an Tessa denken, weil sie mich sonst wittern kann, oder? Und gilt hier nicht das Gleiche? Wir dürfen auf keinen Fall an den Mahr denken.«
    Ich verzichtete darauf, beifällig zu nicken. Offenbar war Tillmann nun James Bond und ich nur noch seine doofe Miss Moneypenny, die ihren Tag damit verbrachte, Däumchen zu drehen, Gelder aufzutreiben und Backsteinwände zu durchbohren, und abends willfährig auf ihren Herrn und Meister wartete. Diese neue Rollenverteilung behagte mir gar nicht.
    »Am besten ist es, wenn wir in eine Art Trance fallen. Wir sind wach, denken aber nicht mehr

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