Scherbenmond
plötzlich mit jedem Trommelschlag zunahm.
Mein Mund war so trocken, dass ich nicht mehr schlucken konnte. Mein Körper brauchte Wasser und Nahrung. Vor allem aber brauchte er Schlaf. Und er würde ihn sich holen. Ich wollte die Musik lauter stellen, doch ich hatte sie schon bis zum Anschlag aufgedreht. Zu leise ... sie war zu leise. Ich torkelte rückwärts gegen das Fenster, verlor den Rhythmus und mein Gleichgewicht. Ich spürte den Schmerz, als ich fiel, die Fensterbank mein Shirt nach oben schob und die dünne Haut über meinen Wirbeln aufriss, doch er störte mich nicht. Warmes Blut sickerte über meinen Rücken.
Der vibrierende Boden empfing mich sanft und warm. Nicht schlafen. Nicht schlafen ... Sieh ihn dir an ... Sieh ihn dir an und finde wieder zurück in den Rhythmus. Öffne deine Augen. Du musst es tun. Aus halb geschlossenen Lidern blickte ich zu Tillmann hoch. Das Zimmer hatte tatsächlich keine Wände mehr. Es gab kein Zimmer, nur einen gigantischen glutroten Himmel, eine Kuppel voller Zorn und Wut und Schmerz. Gezackte Wolken wirbelten über Tillmann hinweg, als er sich im Kreis drehte, immer und immer wieder um sich selbst und das Feuer, mit blutender Brust und einem Ast in beiden Händen, bis er schrie und ihn beim nächsten Trommelschlag in die Flammen hieb ...
Die Funken trafen mitten in meine Augen. Nun musste ich sie schließen, damit sie nicht verbrannten, damit ich wieder sehen und fühlen konnte. Ich musste wieder fühlen. Ich würde sterben, wenn ich nicht wieder fühlen würde.
Ich gab nach. Der Himmel löste den Boden unter mir auf. Es wurde still.
Das bisschen Haushalt
Und? Hat es geklappt?, wollte ich fragen, sobald ich mich von meinen wirren morgendlichen Träumen losreißen konnte. Doch mein Gaumen war so ausgedörrt, dass ich nur ein trockenes Grunzen zustande brachte. Ich rollte mich mit geschlossenen Augen nach rechts, um nach meiner Wasserflasche zu greifen. Meine Stirn knallte hart gegen die Wand. Wand? Warum war da eine Wand? Okay, die Wasserflasche stand sowieso oben auf dem Regal, das war mir zeitgleich mit der Kopfnuss wieder eingefallen. Aber wieso schlief ich neben der Wand? Wir hatten die Betten doch zusammengeschoben. Stöhnend rappelte ich mich auf.
»Wabber«, stammelte ich mit verklebtem Mund. Mein Magen schmerzte, eine Folge des zu starken Espressos, und mir war vor Hunger beinahe schlecht. Da jedoch niemand auf mein halb totes Gewimmer reagierte, blieb mir nichts anderes übrig, als meine Augen zu öffnen.
Tillmann hatte die Betten tatsächlich wieder auseinandergeschoben. Er lehnte auf seiner Pritsche an der Wand, die Knie hochgezogen, und blickte an mir vorbei. Er sah irgendwie verändert aus ... Was war mit ihm? Seine ganze Haltung war untypisch. Er wirkte extrem nervös. Sein Fuß wippte und seine Kiefer malmten ununterbrochen.
Ich zog mich ächzend am Regal hoch und angelte die Flasche vom oberen Brett, um einen tiefen Schluck zu nehmen. Das Blut auf
meinem Rücken war getrocknet, doch die Risse in der Haut brannten wie Feuer. Außerdem taten mir die Ohren weh.
Es war schon viel zu spät. Die Sonne stand hoch und aus der Küche ertönte Geschirrklappern. Paul war also wach. Er kroch nie vor elf Uhr aus den Federn, es sei denn, er musste. Heute aber war Samstag. Er hatte frei, ich hatte ungewöhnlich lange geschlafen.
»Hättest du vielleicht die Ehre, mit mir zu sprechen? Hat es geklappt?«
Tillmann presste malmend die Kiefer zusammen, bis seine Zähne knarzten.
»Hat es nicht«, knurrte er. »Bin auch eingepennt. Kurz nach dir.«
»Scheiße«, fluchte ich. »Was sollen wir denn noch machen, um wach zu bleiben? Das gibt es doch nicht! Hast du wirklich gar nichts aufzeichnen können?«
»Nein! Verdammt, ich habs doch gesagt, ich bin eingepennt!« Tillmanns Tonfall war so aggressiv, dass ich mich bis an die Wand zurückzog. Verunsichert suchte ich seinen Blick. Was war nur mit seinen Augen passiert? Seine Augen wirkten mehr schwarz als braun und seine Lider waren stark gerötet. Ein morbides, dumpfes Leuchten ging von ihnen aus. Mit einem hektischen Geräusch zog er die Nase hoch.
»Was glotzt du mich so an? Hm?«, fragte er schroff.
»Nichts, ich ...« Mein Herzschlag verdoppelte seine Frequenz und mein Magen suchte sich eine neue, viel zu hohe Position. Mit Tillmann stimmte etwas nicht. Hatte es mit dem Mahr zu tun? Hatte er die Kamera bemerkt und ihn befallen? Wieder zog Tillmann die Nase hoch und seine Zähne knirschten.
»Bist du krank?
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