Scherbenmond
wild um mich zu schlagen, zu heulen, weil ich das Gefühl hatte, nur damit mein Leben retten zu können - und es löste die allgemeine Starre im Nu.
Paul zog die strampelnde Ratte von meiner Kehle, Tillmann schlug sie mit der Bratpfanne k.o., Gianna schnappte sich den jaulenden Rossini. Nur François hatte noch immer keinen Ton von sich gegeben.
»Was ist das nur für ein Hund?«, fragte Gianna schluchzend, nachdem Paul die Ratte in das Fleet geworfen und die Balkontür geschlossen hatte. »Jeder Hund würde sich auf die Ratte stürzen, aber der - der frisst stattdessen die widerlichen Tortellini aus dem Müll!«
Rossini sah wieder sehr mager aus. Wahrscheinlich hatte er nur Hunger gehabt. Trotzdem war Giannas Frage berechtigt. Ein Windhund sollte Ratten jagen können. Diese Töle war vollkommen degeneriert. Genau wie ihr Besitzer.
»Bist du verletzt, Ellie? Hat sie dich gebissen?«, fragte Paul und musterte mich besorgt. Ich schüttelte wortlos den Kopf. Gianna entwich ein weiteres angeekeltes Wimmern.
»Ist ja jetzt alles wieder gut«, sagte Paul tröstend und nahm Gianna in den Arm. Sie lehnte sich an ihn. Liebevoll strich er ihr über die seidigen Haare. Ihr zarter Kopf verschwand fast in seiner großen Hand. Die beiden sahen schön miteinander aus.
»Was ist denn hier los?«, blökte François. »Nimmt mich gar niemand mehr wahr?«
Oh doch, ich nahm ihn wahr. Und zwar viel zu deutlich. Sein Parfumschwall raubte mir den Atem, dabei war ich sowieso noch damit beschäftigt, regelmäßig Luft zu holen nach meiner unfreiwilligen Rattenumarmung. Paul ließ Gianna los. Seine Augen leuchteten und ihre Wangen glühten. Jetzt erst sah sie François bewusst an -misstrauisch und sezierend. François würdigte sie keines Blickes und stiefelte in gewohnt hektischer Manier in der Küche auf und ab.
»Den ganzen Tag hab ich versucht, dich zu erreichen, aber nein, Paul geht nicht ans Handy, nein, das tut er nicht, obwohl ich wichtige Neuigkeiten habe, sehr wichtige, Paul, warum gehst du nicht an dein Handy, wenn ich dich anrufe? Warum nicht? Den ganzen Tag schon versuche ich es ... «
Nun, Paul hatte das Klingeln nicht hören können, weil sein Handy auf stumm geschaltet in meiner Hosentasche ruhte. Ich hatte nämlich exakt diese Situation vermeiden wollen. Ich bewegte mich rückwärts zum Flurbord und legte das Handy lautlos darauf ab.
Als ich wieder aufsah, stand Gianna vor mir.
»Erklär mir das bitte«, sagte sie gepresst und deutete auf die Küche, wo François vor sich hin lamentierte. Tillmann schlich mit verschlossener Miene an uns vorbei und zog sich ohne ein Wort in unser Zimmer zurück. Giannas Augen waren schmal geworden.
»Ich - äh, das ist François ... «
»Ich weiß, wer das ist. François Later. Ein Arschloch sondergleichen. Nie wurde ich auf einem Termin so mies behandelt wie von ihm. Außerdem beutet er die Aborigines aus mit seinem Bilderhandel. Also, erklär mir das. Er hat den Schlüssel zu dieser Wohnung, dein Bruder ist ihm ganz offensichtlich hörig ... Und wozu bin ich da? Hm?«
»Paul ist nicht schwul«, erwiderte ich leise.
»Mein Gott, das weiß ich auch, ich bin ja nicht blöd. Aber anscheinend hält er sich für schwul. Und ich sollte ihn davon erretten, oder? Sag mal, was glaubst du eigentlich, wer du bist, Elisabeth? Gott?«
»Es geht nicht nur darum. Es geht um mehr. Pscht!«, unterbrach ich mich selbst und lauschte. François’ verbale Diarrhö hatte ihren Höhepunkt erreicht, und wenn ich sie richtig deutete, würde um acht ein Kreuzfahrtschiff starten, auf das er Paul locken wollte. Tillmann war wieder zu uns getreten und lauschte ebenfalls.
»Ein Kreuzfahrtschiff?« Unsere Blicke begegneten sich und wir dachten beide dasselbe. Es würde uns Zeit verschaffen. Paul war für ein paar Tage, vielleicht sogar für ein paar Wochen von seinem Mahr befreit. Selbst wenn der Mahr ihm folgte: Paul und François würden gemeinsam in einer Kabine schlafen. Er hatte dort einen besseren Schutz als hier bei uns.
Gianna war still geworden. Auch sie versuchte François’ Geschwafel zu ordnen. Er machte Paul gerade das Schiff schmackhaft. Das Übliche: Sauna, Wellness, Pool, XL-Suiten mit Luxusbädern, sie konnten massenweise Bilder ausstellen und an reiche Tanten verkaufen. Pauls Gegenwehr blieb matt.
»Ich brauche dich, Paul«, nölte François zum hundertfünfzigsten Mal. »Um acht legt der Kahn ab. Und du wirst da sein. Ich rechne mit dir! So, ich muss den Hund noch wegbringen. Sei
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