Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
Edeljeans, was sein Bäuchlein wohlwollend kaschierte und stattdessen seine breiten Schultern betonte. Die Haare wellten sich wie die von Papa in ihren besten Zeiten und seine stahlblauen Augen glitzerten. Dazu die Ringe an den Händen und eine exquisite Uhr - ich hatte nicht zu viel versprochen.
    Lächeln, Paul, bettelte ich in Gedanken. Und er tat es. Die Sonne hatte ihren Zenit erreicht. Selig lächelte ich mit, als Giannas Mundwinkel sich hoben und die kleinen, skeptischen Falten in ihren Nasenflügeln verschwanden. Schlagartig sah sie fünf Jahre jünger aus.
    »Ich bin Paul.« Er streckte ihr seine Hand entgegen. Sieh hin, Gianna, es sind wunderschöne Hände. Chirurgenhände. Zupackend und feinfühlig. Was will man mehr?
    Gianna nahm sie und er hielt ihre zarten Finger einen Sekundenbruchteil zu lange fest.
    »Essen ist gleich fertig!«, flötete ich. Dann hopste ich an den beiden Turteltauben vorbei in den Flur. »Ja!«, juchzte ich unterdrückt und reckte meine Faust in die Luft. »Treffer, versenkt!« Ich tanzte einmal um mich selbst vor Freude, bis ich merkte, dass Tillmann aus unserem Zimmer lugte und mich beobachtete. Ich streckte ihm die Zunge raus. Sollte er sich doch lustig machen.
    »Kommst du bitte auch? Es gibt jetzt Essen. Ich warne dich, du wirst sie nicht anmachen.«
    »Ich steh auf blaue Augen, nicht auf braune.«
    »Ach? Ehrlich?« Ich schwieg verlegen, als mir der fordernde Unterton in meiner Frage bewusst wurde. Ich hatte blaue Augen. Zumindest war der Großteil von ihnen blau. Blaugrau. Mit etwas Grün. Tillmann grinste nur.
    »Deine sind nicht blau. Aber ich mag sie trotzdem. Sind echte Elfenaugen.«
    »Elfenaugen?«, quietschte ich entsetzt. »Willst du mich etwa beleidigen?«
    »Oh Mann«, brummte Tillmann. »Jetzt mach ich ein Mal ein Kompliment und dann ist es auch verkehrt.« Er fuhr sich über den Unterarm und zuckte zusammen.
    »Was hast du denn wieder angestellt?« Ich nahm Tillmanns Hand und drehte sie um. In seiner Ellenbeuge prangte eine hässliche, nässende Wunde. Auch die Handfläche war übersät von kleinen Wunden. Es sah aus, als habe er sich verbrannt.
    »Ein Unfall mit einem von Pauls Lacken.« Er entzog mir den Arm und ließ seinen Pulli darübergleiten, sodass die größte Wunde nicht mehr zu sehen war.
    »Seit wann verätzt Lack die Haut?«, fragte ich argwöhnisch. Tillmann murmelte etwas von »allergisch« und »Hunger« und ließ mich allein, um in die Küche abzuhauen. Was kümmerte mich seine verätzte Haut - er stand nicht auf Gianna, aber Gianna stand möglicherweise auf Paul. Und weil Liebe durch den Magen ging, sollte ich schleunigst das Essen auftischen.
    Die Tortellini hatten während ihres Zwangsaufenthalts im Backofen eine wächserne Farbe angenommen und sahen aus, als wären sie steinhart geworden. Die Pilzsoße befand sich in einem nur marginal besseren Zustand. Sie war von einer dicken Haut bedeckt, die sich beim Umrühren in unappetitliche Fetzen zerteilte. Egal. Ich füllte beides in Schüsseln und stellte sie auf den Tisch.
    Einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen. Pauls Mundwinkel bebten, dann eroberte er sich seine Fassung zurück.
    »Wer will zuerst? Der Gast, oder?« Ich entriss Gianna ihren Teller, den sie besitzergreifend festhielt, und belud ihn üppig mit Nudeln und Soße. Immer noch sagte niemand ein Wort. Tillmann wollte sich selbst auftun und Paul rief schon nach der ersten Kelle: »Stopp!«
    »Lasst es euch schmecken!«, brach ich das Schweigen und blickte auffordernd in die Runde. Paul und Gianna nahmen mit einem leisen Seufzen ihre Gabel in die Hand, spießten eine Nudel auf und tunkten sie in die Soße. Warum aßen sie denn nicht? Demonstrativ schob ich mir eine Nudel in den Mund und hätte sie am liebsten in der gleichen Sekunde ausgespuckt. Mein Gericht war zweifelsohne das Scheußlichste, was ich jemals gekostet hatte. Tillmann rührte seinen Teller gar nicht erst an, sondern musterte uns abwartend.
    Doch Gianna und Paul waren meinem Beispiel schon gefolgt und erstarrten synchron. Gianna schluckte verkrampft, dann schüttete sie hastig einen großen Schluck Wein hinterher. Ich selbst kämpfte immer noch mit der Nudel in meinem Mund und konnte mich nicht überwinden, sie herunterzuschlucken. Mit geblähten Wangen sah ich die anderen an. Paul hatte sich hinter einer aufgefalteten
    Serviette versteckt, aber ich erkannte an seinen Augen und den bebenden Schultern, dass er lachte. Giannas Gesicht hatte eine grünliche Farbe

Weitere Kostenlose Bücher