Scherbenmond
froh, dass ich so etwas Tolles in letzter Sekunde organisieren konnte!«
Dann rauschte er samt Rossini an uns vorbei und ließ die Tür ins Schloss fallen. Paul streckte den Kopf in den Flur und lächelte Gianna entschuldigend an. Sie sträubte sich dagegen, sein Lächeln zu erwidern ... und scheiterte.
»Dann muss ich jetzt wohl meine sieben Sachen packen, oder?«, fragte Paul. Er klang, als würde er es bedauern. Gianna richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und sah ihm fest in die Augen, bereit zum Widerspruch.
»Ja«, erwiderten Tillmann und ich gleichzeitig, bevor Gianna den Mund aufmachen konnte. »Scheint wichtig zu sein«, setzte ich hinzu. »Wir kommen schon alleine zurecht.«
Wir warteten stumm, bis Paul gepackt hatte. Es ging schnell. Nur zehn Minuten später stand er mit seinem grauen Koffer vor uns. Er umarmte als Erstes Tillmann - mit einem betont kumpelhaften Schulterschlag -, dann mich und zum Schluss - zärtlicher und bedeutsamer - Gianna. Tillmann und ich wandten uns höflich ab, doch uns war beiden klar, dass wir Gianna nicht laufen lassen würden, bloß weil Paul auf Reisen ging. Wir mussten sie noch besser kennenlernen. Bisher hatten wir kaum Zeit dafür gehabt. Außerdem war sie gut für Paul und das wollte ich nutzen - das musste ich nutzen.
»Kann ich mich mal frisch machen?«, fragte Gianna gefasst, als Pauls Schritte verklungen waren und auf der Straße röhrend der Porsche ansprang. »Ich muss gleich zu meinem Termin.« Sie sah in der Tat etwas zerzaust aus, aber es stand ihr gut.
Ich zeigte ihr das Badezimmer. Sobald sie abgeschlossen hatte, griff Tillmann nach meinem Arm und zerrte mich unsanft in unser Zimmer. Irritiert blieb ich stehen. Ich blickte auf eine meterhohe Leinwand, die vor dem verdunkelten Fenster aufgespannt war. Der Projektor war bereits eingeschaltet und warf ein bläuliches Viereck darauf.
»Und jetzt«, verkündete Tillmann und seine Stimme klang eigentümlich hohl. »Jetzt kann die Show beginnen.«
Cinema noir
»Verstehe ich das richtig?«, stotterte ich. Mein Finger zitterte, als ich auf die Leinwand zeigte. »Du hast - es gibt etwas zu sehen? Aber ...?«
»Schließ die Tür ab.«
»Ich -?« Es gab doch gar keinen Schlüssel für unsere Zimmertür. Leider.
»Nicht diese hier. Die Wohnungstür! Sie soll nicht abhauen können.« Da ich nicht reagierte, schob sich Tillmann ungeduldig an mir vorbei in den Flur, schloss die Eingangstür zweimal ab und stopfte den Schlüssel in seine Hosentasche.
»Du hast etwas aufgenommen und willst es ihr zeigen? Ohne ihr vorher zu sagen, wozu?«
»Ja. Sie soll unsere unmittelbaren Reaktionen mitbekommen. Ich kenne die Aufnahmen ja auch noch nicht. Ich weiß nur, dass etwas drauf ist.« Tillmann redete mit mir wie mit einem begriffsstutzigen Sonderschüler. Doch leider war sein Vorgehen nicht ganz unbegründet. Wenn Gianna nicht wollte, wollte sie nicht. Überreden zwecklos. Im Zweifelsfall musste man sie zwingen. Trotzdem war mir nicht wohl dabei, sie vorsorglich einzusperren.
»Das ist Freiheitsberaubung«, erinnerte ich Tillmann daran, dass wir uns nicht in einer rechtsfreien Zone befanden, nur weil wir Mahre jagten. Schon gar nicht mit jemandem wie Gianna. Ich traute ihr zu, das Grundgesetz auswendig herunterbeten zu können.
Gleichzeitig nahm ich meinen Einwand selbst nicht allzu ernst, zumal andere Dinge viel wichtiger waren. »Du meinst, sie glaubt uns, wenn sie unsere Reaktionen sieht?«
»Die Chancen stehen zumindest besser«, meine Tillmann pragmatisch. »Und sie ist ja nicht doof.«
»Aber ist es klug, wenn wir sie jetzt einweihen? Sollten wir nicht warten, bis sie weg ist, und es uns alleine ansehen?«, wandte ich dröge ein. »Wir kennen sie doch noch gar nicht!«
»Bingo. Mensch, Ellie, überleg doch mal. Wir wissen nach wie vor kaum etwas über Gianna. Hat sie dir die Wahrheit gesagt bezüglich deines Vaters? Sie behauptet, sich nicht an ihn zu erinnern. Das nehm ich ihr nicht ab. Deinen Vater vergisst man nicht so schnell. Sie weiß vielleicht mehr, als wir ahnen, und das hier ist die beste Möglichkeit, es aus ihr herauszukitzeln. Einen besseren Überraschungseffekt bekommen wir nie wieder.«
Mein Verstand begriff zwar, was Tillmann da sagte, und hielt es auch für stimmig. Trotzdem blieb sein Verhalten durchweg unlogisch. Denn Tillmann verschwieg mir etwas. Welchen Überraschungseffekt konnte es geben, wenn wir beide die Ankunft des Mahrs verschlafen hatten?
»Aber wieso ... ich verstehe immer
Weitere Kostenlose Bücher