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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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selbst. Ich hätte ihn an deiner Stelle im Moment allerdings nicht mehr.«
    Nun schossen mir die Tränen in die Augen, doch ich biss mir auf die Lippen, um ihnen Einhalt zu gebieten, und suchte verzweifelt nach etwas, wovor ich aufrichtigen Respekt zeigen konnte. Colin hatte recht. Ich selbst war es nicht. Ihm Respekt zu zeigen verbat mir mein Stolz, obwohl ich es eigentlich wollte. Aber nicht jetzt. Nicht in diesem Moment. An Gott glaubte ich nicht. Ich blinzelte und eine dicke, warme Träne tropfte auf meine Lippen. Instinktiv leckte ich sie ab. Sie brachte mich auf eine Idee. Das Meer. Ja, vor ihm hatte ich Respekt. Ich versuchte es noch einmal. Colin wartete mit niedergeschlagenen Wimpern.
    »Schon besser. Auf die Knie.«
    In einer fließenden Bewegung ging er in die Hocke, stützte kurz die Hände auf den Boden und ließ sich dann auf den Knien nieder, den Rücken gerade, die Augen offen. Die Hände bettete er mit der Innenfläche nach oben auf seine Knie. Meine Wirbelsäule knackte, als ich ihm folgte.
    »Augen schließen.«
    Ich wehrte mich ein paar Sekunden, blickte ihn an, wohlwissend, dass er es spürte. Vielleicht sogar sah. Doch auch dann fügte ich mich und wieder nährte es meine Wut. Minuten vergingen, in denen wir im Wind auf dem kalten Sand saßen und die Augen geschlossen hielten - sah man mal von meinen Kontrollblicken ab -, bis Colin sich aufrichtete und erneut verbeugte, nachdem ich mich mit knirschenden Knien hochgehievt hatte.
    Zehn Minuten später brannte meine Wut wie Feuer in meinem Bauch, grell und zerstörerisch. Doch das Feuer stärkte mich nicht -nein, es schwächte mich. Und ich bestand sowieso nur noch aus zitternden, überanstrengten und verkrampften Muskeln und einer völlig desolaten Verdauung. Dabei hatten wir nicht einmal angefangen. Wir waren wie die Verrückten um die Insel gerannt - Colin weich und geschmeidig, ich schimpfend und zeternd - und nun drillte er mich mit Liegestützen auf den Fäusten. Auf den Fäusten! Unter meiner rechten klebte eine scharfkantige Muschel im Sand, aber Colin hielt meine Hand fest, sodass ich sie nicht wegziehen konnte.
    »Noch zwei! Los! Eins! Streng dich an, Ellie!«
    »Ich kotz dir gleich auf die Finger.« Keuchend brach ich zusammen und meine schweißnasse Wange schrammte über seine Knöchel. »Ich kann nicht, es geht nicht und ich will auch nicht...«
    Colin gönnte mir keine Erholung. Er zog mich hoch, stellte mich auf die Beine und trieb mich an zu laufen. Ich stolperte, fiel, kämpfte mich wieder hoch, heulte, bis ich nichts mehr sah, und einmal fing ich tatsächlich zu würgen an, weil mein Magen sich auf den Kopf drehte, doch erst nachdem ich die Insel umrundet und weitere fünfzehn Liegestütze auf den Fäusten gemacht hatte, gewährte er mir eine Verschnaufpause. Mein Herz schlug wie ein Presslufthammer, als ich mich aufrichtete und fluchend an meinem Gürtel zerrte.
    »Jetzt ist es genug! Es reicht! Ich hab die Nase voll von dieser Kacke hier. Mach deine Spielchen mit jemand anderem. Nicht mit mir.« Zornig warf ich den Gürtel in den Wind, riss das Oberteil von meinen Schultern und knüllte es Colin vor die Füße. Dann flog meine Hose in die Dünen. Nur im Slip, schwitzend und frierend zugleich, stand ich vor ihm und bebte vor Hass.
    Er schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Worauf habe ich mich da nur eingelassen ...« Es klang weder beleidigt noch gekränkt, sondern vielmehr, als würde er mich unterhaltsam finden. Ich holte aus, um ihm ins Gesicht zu schlagen, doch er parierte meinen Angriff so locker und sicher, dass ich empört aufschrie und meine Zähne in seinen Unterarm hieb. Schon hatte er mich ohne die geringste Anstrengung auf den Sand gedrückt. Ich konnte mich nicht mehr rühren. Und diesmal lag kein Zauber auf mir wie damals im Wald. Es war nur sein eisenharter, erbarmungsloser Griff, der meine Bewegungen lähmte. Und sein Blick.
    »Ich wusste nicht, dass es so viele verschiedene Varianten von Wut gibt«, flüsterte ich.
    »Und dass einige von ihnen so nah am Begehren liegen«, erwiderte Colin heiser. Seine Haare kitzelten meinen Hals, als er sich über mich beugte und meine Hände weit über meinen Kopf streckte.
    »Und so nah an der Angst«, ergänzte ich. Ich hatte das Gefühl zu fallen, als ich mich seinen Augen stellte, doch wenn ich schon hilflos und gefangen war, wollte ich ihn wenigstens anblicken.
    »Wehr dich«, forderte er mich auf, seine Pupillen dicht vor meinen, sodass ich mich darin sehen konnte. »Na

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