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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Ich fühlte mich reichlich wackelig in den Knien.
    »Wie ich schon gesagt habe - du musst herausfinden, welches Alter François hat, und zwar während er auf dem Schiff ist. Ich möchte dennoch, dass du das nicht alleine tust. Sollte Gianna vertrauenswürdig sein - das werde ich noch überprüfen -, begleitet sie dich. Am besten verschafft ihr euch Zugang zu seiner Wohnung. Die meisten Mahre heben Erinnerungsstücke auf. Ich brauche wenigstens das ungefähre Alter.«
    Mir passte Colins Befehlston nicht, aber ich tippte mir salutierend an die Stirn, um ihm zu bedeuten, dass ich verstanden hatte.
    »Gut. Ich kann das selbst nicht tun, weil dann die Gefahr besteht, dass er meine Spuren wittert. Das Zuhause von Mahren ist ihr Revier; sie merken es sofort, wenn einer ihrer Artgenossen da war. Stichwort Wintergarten.«
    Oh ja. Ich wusste, was er meinte. Die erste Begegnung von meinem Vater und Colin bei uns zu Hause. Sie hatten sich benommen wie Alphawölfe, die um ihre Beute stritten.
    »Ich werde außerdem Zeit brauchen, um mich auf den Kampf einzustimmen und meine Kräfte zu mobilisieren. Und diesmal möchte ich es bedächtiger angehen als bei Tessa. Drei Wochen werde ich mindestens dafür benötigen. Du darfst mich in dieser Zeit weder sehen noch sprechen. Ich bitte dich nur, mir einen Brief zu schreiben, in dem du mir mitteilst, wie alt François ist und an welchem Tag der Kampf stattfinden soll.«
    »An welchem Tag?«, fragte ich verwundert. »Aber wie kann ich das denn festlegen?«
    »In frühestens drei Wochen - der Tag liegt bei euch. Denn ihr habt die Aufgabe, Pauls Träume anzufachen, seine Träume und Wünsche, seine heimlichen Hoffnungen - alles Schöne. Und das muss innerhalb weniger Stunden geschehen. Ein Glücksangriff.« Colin sprach, als ginge es darum, Paul ein besonders hübsches Paar Socken auszusuchen. Selbst damit wäre ich überfordert gewesen.
    »Oje. Ich bin alles andere als eine Expertin für Glück.« Ich fuhr mir stöhnend durch die Haare. Durch Colins ständige Nähe begannen sie zu knistern, als stünde ich unter elektrischer Spannung.
    Colins Mundwinkel warfen kaum wahrnehmbare Schatten, die zarte Andeutung eines Lächelns. »Tut mir leid, du wirst dich daran versuchen müssen. Ihr müsst Schicksal spielen. Anders geht es nicht. Es muss ein bisschen von dem sein, was François ihm bietet, vermischt mit anderen, echten Glücksgefühlen. Damit François’ Gier, aber auch seine Eifersucht und sein Zorn geweckt werden. Er muss Lust bekommen, Paul so auszusaugen, dass er gerade noch lebt und François der Einzige ist, der ihn aus diesem Tief wieder herausholen kann. Genau das ist das Tückische daran. Er könnte in einen Fressrausch geraten. Seine Gier wird jedoch mein Vorteil sein. Ich werde ihn in genau diesem Moment angreifen. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen.«
    »Wir müssen Paul also den Himmel auf Erden bereiten und ihn damit in den Tod schicken.« Ich presste meine Finger in die Matratze, doch sie gab genauso nach wie der Boden unter mir. Der Schwindel wurde so stark, dass ich kurz die Augen schließen und den Kopf zwischen die Beine nehmen musste.
    »Ja. Das müsst ihr. Es ist russisches Roulette, aber die einzige Chance. Ich kann euch bei diesen Vorbereitungen nicht helfen, weil ich euch damit nur zusätzlich in Gefahr bringen würde. Das verstehst du, oder?«
    »Ja«, sagte ich tonlos. »Klar. Ich bin nur nicht scharf darauf, meinen Bruder auf dem Gewissen zu haben, wenn es schiefgeht. Aber egal. Wir müssen es versuchen.«
    »Noch etwas, Ellie. Ich weiß nicht, wie stark François’ telepathische Fähigkeiten sind. Ich habe gehört, dass sie bei Wandelgängern eher schwach ausgeprägt sind, da Wandelgänger zu sehr fixiert sind, um ihren Geist zu öffnen. Trotzdem sind ihre telepathischen Energien in jedem Falle stärker als bei Menschen. Wenn François in eurer Nähe ist, dürft ihr weder an mich denken noch an das, was wir Vorhaben. Ihr müsst euch ablenken, so gut es euch möglich ist.«
    Colin senkte die Lider, öffnete das Fenster und die Läden und schaute hinaus in die Nacht. Eine kühle, salzige Brise strömte ins Zimmer und irgendwo bellte ein Hund. Es hätte idyllisch sein können. Eine Nacht zu zweit in einem Ferienhäuschen auf Sylt. Doch in mir hatte das Grauen sein altvertrautes Regime übernommen. Einzig die Tatsache, dass wir im Moment ohnehin nichts tun konnten und Paul auf dem Schiff relativ sicher war - Tillmann hätte sich garantiert gemeldet, wenn etwas

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