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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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los. Nicht? Du willst dich nicht wehren?«
    Ich sagte nichts. Nur mein Atem war zu hören. Und das wilde Pochen meines Bluts. Trag mich hoch und leg mich auf dein Bett, dachte ich und verfluchte mich gleichzeitig dafür. Ich sollte so etwas nicht denken. Ich durfte nicht. Hier ging es um etwas anderes - aber worum nur?
    »Wehr dich, Elisabeth.« Colin ließ sein gesamtes Gewicht auf mich sacken. Erdrückend schwer und doch so willkommen. Ich holte gepresst Luft, weil er meinen Brustkorb zusammenquetschte -meine Lungen rasselten wie ein schlecht funktionierender Blasebalg. Er nahm mir den Atem. Noch immer sagte ich kein Wort, sah ihn nur an.
    Ich liebe dich. Und ich hasse dich, dachte ich mit aller Kraft, die ich in meinem schwindenden Bewusstsein sammeln konnte. Es war mehr, als ich geahnt hatte.
    Abrupt ließ er mich los, stand auf und lief ins Meer. Wenige Augenblicke später hatte es ihn verschluckt.
    Ich blieb wie tot liegen, bis ich langsam und unter heftigen Schmerzen die Kontrolle über meine Arme und Beine zurückerlangte. Sie sträubten sich gegen alles, was ich von ihnen verlangte, doch ich zwang sie, mich nach oben in die Hütte zu bringen, wo ich geschüttelt von Krämpfen und der Kälte auf das Bett fiel und mich meinen Träumen überließ.
    All den unerfüllten Wünschen, die Colin in mir geweckt hatte. Und meiner Wut.

Der Weg des Samurai
    Mein fiebriger, ruheloser Schlaf war nur von kurzer Dauer. Bald schon kitzelten mich die Strahlen der tief stehenden Sonne wieder wach. Wie so oft an der See hatte das Wetter sich schlagartig verändert und die dunkelgrauen Wolkenmassen, die vorher noch über der Insel hingen, waren zusammen mit dem kalten, böigen Wind weggezogen.
    Auch mit mir ging eine merkwürdige Veränderung vor sich. Meine Wut und mein Zorn waren verraucht, und obwohl meine Knochen immer noch schmerzten, regte sich in mir von ganz allein der Wunsch, mich zu bewegen und auszutesten, wozu ich noch in der Lage war. Ich wollte nicht aufgeben. Ja, Colin hatte mich provoziert und er hatte sich für meinen Geschmack viel zu dominant verhalten. Aber das hieß noch lange nicht, dass mein Körper nur zum Ankleiden und Bemalen gut war. Im Sommer war ich in Form gewesen, die langen Spaziergänge in den Wald und die ein oder andere Flucht hatten mich in kürzester Zeit stabiler, biegsamer und robuster werden lassen. Wo also stand geschrieben, dass das nicht wieder passieren konnte? Unsportlich war ich schließlich nicht.
    Außerdem sah ich nicht ein, ein weiteres Mal wie die Prinzessin auf der Erbse in der Hütte zu sitzen und auf Herrn Grafen von und zu Blackburn zu warten. Nachdem ich mich ächzend und stöhnend aus dem Bett gerollt hatte, fiel mir auf, dass Lebensmittel auf der kleinen Küchenarbeitsfläche standen, mehrere Wasserflaschen,
    trockene Kekse, Bananen, Saft, Brot. Im Kühlschrank fand ich Joghurt, frischen Fisch und Gemüse. Colin hatte für mich eingekauft. Ich versuchte ihn mir vorzustellen, wie er mit dem Einkaufswagen durch den Supermarkt schlenderte, und angelte mir kichernd eine Banane. Ich brauchte Magnesium; für meine Muskeln und für meine Nerven. Dann trank ich eine halbe Wasserflasche leer und besuchte das stille Örtchen der Hütte, in dem ich auch in Zukunft nicht mehr Zeit als dringend notwendig verbringen wollte. Was für ein Kontrast zu Colins Badetempel im alten Forsthaus.
    Zurück in der Hütte, zog ich mir widerstrebend den Kimono über, obwohl ich immer noch der Meinung war, dass ich darin zur Witzfigur mutierte. Doch wer Sport machte, schwitzte und ich hatte nun mal nicht mehr als zwei Garnituren Kleidung zur Verfügung, von denen die eine schon deutliche Gebrauchsspuren trug. Ich probierte halbherzig, den Gürtel korrekt zu binden, gab aber schnell auf. An dem Knoten würde es ja wohl kaum scheitern.
    Am Strand stand ich einige Minuten lang unschlüssig in der Sonne und wusste nicht, wie ich beginnen sollte. Nach reiflichem Überlegen absolvierte ich all die Aufwärmübungen, die ich damals im Ballett gelernt hatte. Schaden konnten sie nicht. Zu meinem Erstaunen war ich immer noch recht beweglich, sobald ich das Ziehen in meinen Sehnen überwunden hatte. Mein einziges Problem war die mangelnde Kondition. Also legte ich zwischen den Übungen kleine Dauerläufe ein, zuerst im tiefen Sand, dann in den Wellen wie vorhin mit Colin, obwohl meine Zähne vor Kälte zu klappern begannen und ich bald kein Gefühl mehr in den Zehen hatte.
    Doch meine Muskeln in Armen, Beinen und

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