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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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passiert wäre oder es Paul schlecht ginge -, bewahrte mich davor durchzudrehen. Denn das hätte ich gerne getan: mich auf den Boden geworfen, mit Armen und Beinen gestrampelt, geheult und gewartet, dass jemand käme, der mich aufheben und mir sagen würde, dass alles gut würde. Nur ein böser Traum. Mehr nicht.
    Diesmal war ich kein weiblicher Rambo, der mit Todesverachtung in den Wald schritt und vor lauter Liebe zu sterben bereit war. Berauscht und übermütig. Jetzt hatte ich von Anfang an meinen Part und er war nicht zu knapp bemessen. Ich musste in die Wohnung eines Mahrs einbrechen, meinen Geist verschließen (wie sollte mir das gelingen?) und meinen Bruder glücklich machen - einen Mann, der so weit weg vom Glück war wie ein Antarktispinguin von einem Caipirinha.
    »Hast du denn schon eine Vorstellung, wie du ihn ... tötest?«, fragte ich unbehaglich.
    »Darüber kann ich mit dir nicht sprechen. Du wirst mir blind vertrauen müssen, Ellie.« Noch immer schaute Colin aus dem Fenster, als wäre ich gar nicht mehr da.
    »Prima. Und wie ich unsere Beziehung kenne, muss ich jetzt wohl wieder verschwinden, stimmt´s?« Ich griff nach meinem Rucksack und wollte anfangen, meine wenigen Habseligkeiten einzupacken, weil ich dringend etwas tun musste, um nicht meinen Verstand zu verlieren. Doch Colins glühender Blick ließ meine Bewegungen erstarren.
    »Nein. Du kommst mit mir nach Trischen. Aber glaube bloß nicht, dass ich dich auf Rosen bette. Du wirst den Tag verfluchen, an dem du mich kennenlerntest.«

Ira

Karate Kid
    Ich hatte den Tag, an dem Colin mich aus dem Gewitter gefischt hatte, schon einige Male verflucht. Insofern war dieser Wunsch nichts Neues. Und doch - dass ich mich damals in dem Unwetter zu Tode gefürchtet hatte, erschien mir absolut lachhaft angesichts der Herausforderungen, die nun auf mich warteten. Ein Gewitter! Nur her damit! Ich hätte mich, ohne zu zaudern, nackt und mit einem eisernen Kronleuchter auf dem Kopf in den strömenden Regen gestellt und mich von Blitzen umtanzen lassen, wenn dadurch die andere, so viel größere Bürde von meinen Schultern genommen worden wäre.
    Jetzt saß ich in der Hütte, sah Miss X beim Dösen zu und harrte der Dinge, die da kommen würden. Colin hatte mich im Morgengrauen auf Trischen abgesetzt und war sofort wieder verschwunden. Er habe ein paar Besorgungen zu machen, sagte er. Hieß wahrscheinlich so viel wie: ins Meer abtauchen und Fischschwärme aufspüren. Seine Haut war heute Morgen in den wenigen Momenten, in denen ich sie zu fühlen bekommen hatte, nur noch mäßig warm gewesen. Ich musste mir gut zureden, um seine Distanz nicht als Abweisung zu interpretieren. Immerhin, tröstete ich mich, gab es hier nur ein Bett und er würde mich kaum auf dem Boden schlafen lassen. Denn ich sollte sage und schreibe drei Tage hierbleiben. Bei ihm auf der Insel. Eigentlich hätte ich Purzelbäume schlagen müssen. Doch mir schwante, dass ich nicht zum Vergnügen da war.
    Diese Ahnung bestätigte sich, als Colin gegen Nachmittag zurückkehrte, wie in alten Zeiten mit Baseballkappe und dicker Sonnenbrille. Er warf mir eine prall gefüllte Einkaufstüte auf den Schoß. Der Gedanke, dass Colin shoppen gewesen war, kam mir so bizarr vor, dass ich laut auflachte.
    »Anziehen«, sagte er knapp und schlüpfte aus Hose und Hemd. Aha. Mister Cool machte sich nackig und ich musste mich neu ankleiden. Was sollte das denn werden? Mit spitzen Fingern öffnete ich die Tüte, deren Inhalt schwer auf meinen Knien lag. Jede Menge weißer Leinenstoff, dick und grob, ein Gürtel ... oh nein. Ein Karateanzug. Als ich wieder aufsah, trug Colin seinen Kimono bereits.
    »Gibt es ein Problem?«, fragte er. Seine Sachlichkeit rüttelte an meinen Nerven.
    »Das Teil ist viel zu weit geschnitten«, murrte ich, entledigte mich aber dennoch meiner wenigen Klamotten.
    »Du sollst nicht auf den Laufsteg, sondern trainieren. Außerdem musst du dich darin bewegen können. Warte.«
    Ich stand mehr nackt als bekleidet vor ihm und ließ mich begutachten. Was wollte er denn nun?
    »Kette aus, Ringe aus, Uhr aus, Ohrringe aus.«
    »Geht das auch freundlicher?« Ich legte meine Arme über meine Brüste. Ich hatte mich selten so entblößt gefühlt wie in diesem Moment. Ich und Karate. Das war doch lächerlich. Und wozu sollte es gut sein?
    »Ellie, wir sind hier nicht beim Kaffeeklatsch. Zieh deinen Schmuck aus. Und zwar heute noch.«
    Während ich meinen Ohrring herausfummelte, beäugte Colin

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