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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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unterdrücken, als das schwere Leinen von meinem Rücken glitt.
    Langsam drehte Colin sich zu mir um und pustete das letzte Streichholz aus. Seine Augen schillerten, während er sie über meinen Körper schweifen ließ, als würde er Land vermessen. In der nächsten Sekunde lag ich rücklings auf dem Bett und wie vorhin auf dem kalten Sand beugte er sich über mich, bis seine Haare mein Gesicht berührten. Ich seufzte auf - es war ein Bitten, kein Klagen.
    »Soll ich deine Wunden heilen?«
    Jede Antwort war sinnlos. Er hatte bereits angefangen und ich war zu zerschunden, um auch nur einen Finger zu rühren oder mich gar zu wehren. Still ergab ich mich seinen Händen. Er ging zügig und konzentriert vor, vergeudete keine Zeit und doch tat er es so versunken und aufmerksam, dass mir selbst Zeit genug blieb, mich zu verlieren. Als ich mich in das Dunkel hinter meinen Lidern zurückzog, entschwebte ich mir, sah mich von oben, wie ich, ohne mich zu regen, auf dem Bett lag, mein Gesicht entspannt, ein leichtes Lächeln auf den Lippen, die Wangen glühend, und Colin ... sein Blick ... wie er mich ansah ... Ich musste meine Augen geschlossen halten, um nicht davon verschlungen zu werden.
    »Bleib bei dir, Ellie«, flüsterte er. »Bleib bei dir.«
    Ich tauchte wieder hinab, um mit pochendem Herzen in die aufgewühlte, samtene Schwärze meiner Empfindungen zurückzukehren. Dann kam die Flut.
    Das Rauschen der Brandung, stärker und mächtiger als zuvor, lotste mich in die Wirklichkeit zurück. Doch noch wollte ich mich nicht rühren. Es war zu früh. Mein schlechtes Gewissen allerdings meldete sich prompt, zuverlässig wie eh und je.
    »Und was ist mit dir?«, fragte ich blind und berührte sacht Colins Nacken. Er trug noch immer seinen Kimono. Seine Haut war kühler als meine, aber wärmer, als ich sie im Sommer je erlebt hatte.
    »Das Meer ist tief und dunkel. Selbst der liebe Gott kann nicht hineinblicken. Niemand weiß, mit welch räuberischen Gedanken ich vorhin gejagt habe. Ich bin vollauf zufrieden.«
    Nun öffnete ich doch meine Augen. Colin strich mir lächelnd eine verirrte Haarsträhne von der Nase - und ja, er sah in der Tat zufrieden aus. Bei Andi wäre ich jetzt in der Pflicht gewesen, und zwar ohne Verschnaufpause. Auch ein Grund, weshalb ich dem ewigen Petting irgendwann hatte ein Ende setzen wollen - um dann ernüchtert festzustellen, dass die nächste Stufe auch nicht unbedingt erfüllender war. Doch nun wusste ich, dass alles, was vorher gewesen war, nie an das herangekommen konnte, was ich hier erlebte.
    »Ob es mit den anderen auch so schön ist?« Meine Stimme klang matt, eine glückselige, satte Mattigkeit.
    »Wie viele möchtest du denn noch ausprobieren?«, erwiderte Colin belustigt.
    »Nein, äh, am besten keinen. Ich frag mich nur ... ich frage mich, wie man das noch steigern kann.« Ich wich seinem Blick aus, doch er fing ihn sofort wieder ein und ich sah, dass seine Augen lachten.
    »Ach, Ellie. Das ist erst der Anfang. Warte mal ab, bis du dreißig bist und in deiner Blüte stehst. Du wirst noch dein blaues Wunder erleben.«
    Ich drehte mich vorsichtig auf die Seite und stützte meinen Kopf auf den Ellenbogen. Das tat zwar grausam weh, aber ich wollte auf einer Höhe mit ihm sein.
    »Du weißt es, oder? Von anderen Frauen. Das eben war keine Vermutung?« Und auch meine Frage war keine Vermutung. Denn Colin reagierte nicht. Keine Antwort war auch eine Antwort. Doch in seinen Augen lauerten Wehmut und Bedauern, als wüsste er genau, dass er nicht mehr da sein würde, wenn ich dreißig war.
    »Und wie sieht es bei den Männern aus?«, führte ich meine Gedanken stur weiter.
    »Oh, eine große Ungerechtigkeit der Natur. Wir haben unsere Blüte schon mit zwanzig erreicht und lassen dann stetig nach. Ich bin also immer kurz vorm Nachlassen.« Er grinste galant und auch ich musste schmunzeln. Mit Nachlassen hatte unser vorgestriges Stelldichein nicht viel zu tun gehabt.
    »Colin ... was hat dich dazu getrieben, diese ... diese One-Night-Stands mit Frauen einzugehen? Gianna meint, die Männer wollten nur möglichst großflächig ihren Samen verteilen und befruchten, was das Zeug hält, aber das kann bei dir ja nicht der Grund sein.« Ich hatte Angst, dass meine Frage taktlos klang, und Colins Blick wurde ernster, doch er schien nicht beleidigt zu sein.
    »Ich suchte bei jeder Einzelnen den Beweis, dass ich Tessa nicht verfallen war. Bis ich irgendwann begriff, dass ich diesen Beweis nicht brauchte. Aber

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