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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Zuhause gegeben, das Sie mir aufgedrängt haben. Ohne zu murren. Nun können Sie ruhig auch mal was Gutes tun und diesen armen Hund ...«
    »Deine Tiere sind allesamt wieder bei mir, Elisabeth, falls du dich erinnerst. Seit Wochen. Und du warst diejenige, die die Spinne behalten wollte, nicht ich habe es verlangt. Was ist eigentlich mit ihr passiert?«
    »Sie ruht in den ewigen Jagdgründen«, wählte ich eine blumige Umschreibung für den kaltblütigen Mord, dem sie zum Opfer gefallen war, in der Hoffnung, Herrn Schütz den Boden für eventuelle Vorwürfe zu nehmen. Er seufzte ein weiteres Mal. »Außerdem muss ich zu meiner Mutter.« Ich hob die Hand zum Gruß, doch Herrn Schütz’ verwunderter Blick ließ mich stocken. »Was ist?«
    »Elisabeth, Mia ist nicht da dieses Wochenende. Sie ist zu Regina gefahren und kommt erst am Montag zurück.«
    Die vertrauliche Art, wie Herr Schütz »Mia« und »Regina« sagte, brachte mich augenblicklich zum Rasen.
    »So. Warum wohnen Sie eigentlich noch in dieser Puffbude? Ziehen Sie doch gleich bei meiner Mutter ein. Das Haus ist schließlich groß genug. Aber glauben Sie bloß nicht, dass ich >Papa< zu Ihnen sage.« Ich malte mir aus, wie ich ihm meine Handkante in die Halsbeuge schlug und er binnen Sekunden auf den Teppich sank. Ohnmächtig. Ausgeschaltet. Durch eine einzige Bewegung. Zack.
    »Ich habe das mit Regina zufällig gestern im Yoga erfahren«, erwiderte Herr Schütz geduldig. »Und ich wohne gerne in dieser Puffbude.«
    »Yoga?« Ich lachte verächtlich auf. »Sie und Yoga?«
    »Dürfen Männer denn kein Yoga machen?« Nun wirkte Herrn Schütz’ Geduld angestrengt. »Ich habe Mia nur in der Umkleidekabine getroffen und ...«
    »In der Umkleidekabine! Wissen Sie was - Sie können mich mal kreuzweise! In der Umkleidekabine - und das natürlich vollkommen zufällig. Buchen Sie doch gleich einen gemeinsamen Tantrakurs! Was bin ich froh, dass ich mein Abi habe und Ihnen nicht mehr täglich begegnen muss!«, wütete ich und knallte die Haustür vor seiner Nase zu.
    Ich fuhr so schnell und aggressiv nach Kaulenfeld, dass der Wagen in den Kurven schleuderte und die Reifen quietschten. Mir war alles recht, von mir aus sogar ein Unfall, wenn es nur die Bilder vertrieb, die sich in meinem Kopf auftürmten. Mama in irgendeiner exotischen Yogaposition und Herr Schütz, der ihr dabei lüstern in den Ausschnitt oder zwischen die Beine lugte. Hoffentlich biss Rossini ihm bei der nächsten Gelegenheit die Eier ab.
    Mama war tatsächlich nicht da - weder sie noch die Ente. Allerdings saß Mister X mitten auf dem Esstisch, umgeben von angeknabberten Zweigen und zertrümmerten Ostereiern (unzweifelhaft sein Werk), und war so gnädig, schnurrend den Kopf zu neigen, damit ich ihn hinter dem Ohr kraulen konnte. Beruhigen konnten mich die kätzischen Streicheleinheiten nicht, aber ich musste mich am Riemen reißen und den Brief an Colin aufsetzen. Ich wollte ihn heute noch abschicken, damit er möglichst schnell in Friedrichskoog ankam, wo Colin ein Postfach gemietet hatte. Wir waren also nicht auf Nielsen angewiesen, um miteinander zu kommunizieren.
    Übermüdet und doch zu aufgewühlt, um ans Schlafen zu denken, stolperte ich nach oben in mein Dachzimmer und ließ mich stöhnend am Schreibtisch nieder. Meine Finger zitterten, als ich den Füller aufs Papier setzte - eine Spätfolge des gestrigen Trainings.
    »Hey, Sensei« begann ich und überlegte. War das nicht zu flapsig? Aber Colins Schreibstil würde ich sowieso niemals erreichen. Und für sprachliche Schnörkel blieb keine Zeit.
    »Ich möchte vorab bemerken, dass ich keine gute Briefeschreiberin bin. Meine Freundinnen haben meine Briefe nie richtig gelesen und erst recht nicht beantwortet. Und der einzige Liebesbrief den ich bisher geschrieben habe, hat meinen Angebeteten endgültig in die Flucht getrieben.«
    Grischa, erinnerte ich mich. Zwölf Seiten Gefühlsduselei. Was musste er nur von mir gedacht haben? Wir hatten nie miteinander gesprochen. Und dann bekam er einen zwölfseitigen Brief von einem Mädchen, das er wahrscheinlich nicht einmal bemerkt hatte.
    »Wir haben François’ Wohnung gefunden - und seine Zweitwohnung. Ziemlich ekelhaft. Gianna war kurz vorm Durchdrehen. Ich ehrlich gesagt auch. Aber wir wissen jetzt, aus welcher Zeit er stammt.«
    Ich kaute an meinem Füller. François war genau achtundvierzig Jahre älter als Colin. Und laut Colin hatte er ab fünfzig Jahren Altersunterschied kaum eine Chance gegen

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