Scherbenmond
Polizei wohl kaum auf den Plan rufen.
Immerhin war es sehr wahrscheinlich, dass es in dieser Gegend keine aufmerksamen und gesetzestreuen Nachbarn gab, die den überfüllten Keller samt Nagerplage entdecken und François anzeigen konnten. Sollte die Polizei François’ Rattenhöhle auf die Schliche kommen, hatte er allen Grund, aus Hamburg zu verschwinden und Paul mitzunehmen, womöglich in einer Nacht- und Nebelaktion. Wer als Wandelgänger lebte, hatte sich wohl oder übel an die Gesetze zu halten, wenigstens vordergründig. Und das Stehlen von Piratenschädeln war nun mal illegal. Nein, die Polizei durfte keinen Wind davon bekommen - weder von unserer Einbruchsaktion samt Hundeentwendung noch davon, dass es überhaupt solch einen zu-gemüllten Keller gab.
»Was machen wir denn jetzt mit ihm?«, fragte Gianna mit brüchiger Stimme und deutete auf Rossini. Noch immer lehnte sie kraftlos an der Hauswand, hatte jedoch wieder ein wenig Farbe ins Gesicht bekommen. Anstatt zu antworten, griff ich nach meinem Handy und wählte jene Nummer, die ich unter unflätigen Verwünschungen kurz vor meiner letzten Abfahrt aus Kaulenfeld eingespeichert hatte - für den Fall, dass Tillmann den Bogen überspannte und ich ihn lieber heute als morgen loswerden wollte.
Es dauerte ein paar Minuten, bis abgenommen wurde, und ich war mir darüber im Klaren, dass ich Herrn Schütz gerade weckte. Aber Rossini durfte hier nicht bleiben und ich hatte nur das Wochenende Zeit, um dem Westerwald einen Kurzbesuch abzustatten. Am Montag musste ich für Lars wieder Gewehr bei Fuß stehen.
Ich wusste sehr gut, dass Mister X Hunde hasste. Er war Colins Kater, er musste Hunde hassen. Wenn also Herr Schütz Rossini übernahm und Mama Mister X behielt, hatten die beiden einen Grund mehr, sich nicht zusammenzutun.
Diese Vorstellung gefiel dem zornigen Tier in meinem Bauch außerordentlich gut, obwohl ich mir dessen bewusst war, dass es sich wahrscheinlich grundlos derart aufbäumte, wenn ich an die beiden dachte. Denn meine blinde Eifersucht war nicht der Tatsache entsprungen, dass Herr Schütz und Mama sich mochten, wie mir mittlerweile klar geworden war - sondern aus der Enttäuschung, dass es mein Lehrer und nicht Papa gewesen war, der bei unserer Heimkehr im Wintergarten gesessen hatte. Dennoch sollten die beiden nichts miteinander anfangen. Niemals. Und Vorsorge war besser als Nachsorge. Vor allem aber wollte ich Mama noch einmal sehen, bevor es in den Kampf ging.
Endlich meldete er sich, verschlafen und mit belegter Stimme.
»Hallo, Herr Schütz. Tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe, aber wir haben hier einen kleinen Notfall. Können Sie einen Hund gebrauchen?«
Das ethische Einmaleins
»Elisabeth. Da bist du ja schon«, sagte Herr Schütz mit einem leichten Kopfnicken. Aufrichtige Freude klang anders. »Oh Gott, auch noch ein Windhund«, setzte er murmelnd hinterher, als Rossini an ihm vorbei in den dämmrigen Flur galoppierte und schlitternd gegen die Anrichte in der Küche prallte. »Damit mache ich mich ja zum Gespött des gesamten Dorfes.«
Ich war nach dem Training mit Lars und unserem Einbruch so aufgeputscht gewesen, dass ich mich bis morgens um fünf schlaflos im Bett herumgewälzt und schließlich beschlossen hatte, so früh wie möglich in den Westerwald zu fahren. Jetzt war es kurz vor Mittag und ich konnte es kaum erwarten, Mama meinen Überraschungsbesuch abzustatten. Doch vorher wollte ich Rossini, dem ich heute Nacht noch notdürftig das Fell gesäubert und von den verfilzten Kletten befreit hatte, bei seinem neuen Besitzer abgeben.
»Windhunde sind kluge und sanftmütige Tiere«, versicherte ich Herrn Schütz.
»Eigenschaften, die im Westerwald nicht unbedingt gefragt sind«, gab er stirnrunzelnd zu bedenken, doch ich wollte keine Widerrede hören.
»Viel Spaß mit ihm ...« Ich drehte mich weg, um wieder zu verschwinden.
»Stopp, Elisabeth, nicht so schnell. Wo hast du diesen Hund überhaupt aufgegabelt?«
»Ich, äh, ich hab ihn aus schlechter Haltung befreit. Ihn wird niemand vermissen, glauben Sie mir.« Ich lächelte Herrn Schütz vertrauenerweckend zu - jedenfalls glaubte ich, es zu tun. Aber es zeigte keinerlei Wirkung.
»Gibt es in Hamburg kein Tierheim?« Herr Schütz lehnte sich seufzend an die Wand. Hinter ihm schoss ein weißer Schatten durch den Korridor, dann fiel etwas krachend zu Boden.
»Also, Herr Schütz, bitte. Ich hab auch die Spinne behalten und dem ganzen anderen scheußlichen Getier ein
Weitere Kostenlose Bücher