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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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mir, das etwas Schreckliches passieren wird. Ich weiß es genau. Und ich weiß, dass sie richtig sind. Meine Gefühle sind richtig.« Ich seufzte tief, als ich bemerkte, wie albern das klang. Meine Gefühle sind richtig. Das war nicht einmal ein Argument. Das war Kinderkram.
    »Dann versuch sie zu ignorieren. Ich weiß, das ist nicht leicht. Aber Colin wird dir das nicht einfach so eingetrichtert haben. Das hatte einen Sinn. Auch wenn du den jetzt nicht verstehst. Bald geht die Sonne auf. Dann ist es nur noch eine Nacht.«
    Tillmann setzte sich neben mich und schaltete den Fernseher an. Stumm schauten wir irgendeinen dämlichen Verkaufssender, bei dem zu Unzeiten einsame alte Frauen anriefen und sich von den Moderatoren das Gefühl geben ließen, wichtig zu sein, weil sie reihenweise Krimskrams kauften, den kein Mensch brauchte. Als es hell wurde, dämmerte uns langsam, dass die größte Herausforderung erst noch auf uns wartete. Paul hatte gesagt, dass er heute Nacht - in der letzten Nacht - hier schlafen würde. Falls François erneut Appetit verspürte (und damit war zu rechnen), mussten wir das tun, was Colin als die schwierigste Aufgabe für mich bezeichnet hatte. Wir mussten unsere Gedanken verschließen. François durfte nichts merken. Auch nicht von fern. Und es erschien mir unmöglich, nicht an etwas zu denken, was mich unmittelbar bedrohte.
    Meine einzige Ablenkung war wie immer das Training, in dem ich zu Hochform auflief. Einmal traf ich das Schlagpolster mit solcher Wucht und einem derartig gellenden Kampfschrei, dass Lars beinahe das Gleichgewicht verlor. Die Strafe folgte auf dem Fuße. Shotokan-Karate sei Semikontaktkampfsport, kein Vollkontakt, schrie er mich an. Seine Frau grinste dümmlich, als ich zwanzig gesprungene Liegestütze auf den Knöcheln machen musste.
    Doch das Training war viel zu schnell vorbei und zurück in der Speicherstadt flachte das Hochgefühl, das mich nach dem Sport oft von innen heraus wärmte und entspannte, rasch ab - und das, obwohl Paul wieder da war und gut sichtbar lebte. Er schaute Die Simpsons, lachte, aß Salzstangen und Schokolade im fliegenden Wechsel. Aber ich hatte ihn noch nie so müde und erschöpft gesehen. Bräunliche Schatten lagen unter seinen stahlblauen Augen und der bittere Zug um seinen Mund hatte sich verschärft. Trotzdem war er auf eine morbide Weise schön. Vielleicht sehen Menschen so aus, wenn sie zum Sterben verurteilt sind, dachte ich und eisige Schauer wanderten meinen Rücken entlang. Ich kroch auf seinen Schoß wie in Kindertagen. Er roch gut, weich und warm und dennoch eindeutig nach Mann und Bruder. Eine Weile ließ ich meine Stirn an seinem Hals ruhen und hörte seinem langsamen, schweren Herzschlag zu, der sich immer dann ganz leicht beschleunigte, wenn Paul lachte. Er musste dringend öfter lachen. Ich selbst kam ja ganz gut ohne ständiges Gegrinse zurecht. Lachanfälle gingen meistens schmerzhaft aus, mit bösem Schluckauf und Zwerchfellziehen. Aber Paul war zum Lachen konzipiert.
    Er ging früh zu Bett, nach einem unserer üblichen minderwertigen Abendessen, das wir alle mehr oder weniger lustlos in uns hineinschaufelten.
    »Ich wollte dir noch etwas sagen, Ellie«, sprach Tillmann mich an, als ich mit verkrampften Händen das Geschirr in die Maschine räumte. Wir hatten den ganzen Tag kaum miteinander geredet, aber ich hatte gespürt, dass er mich immer wieder intensiv und beunruhigend nachdenklich angeschaut hatte.
    »Dann sag es«, entgegnete ich grob. Ich trat die Spülmaschine zu und drehte mich mit verschränkten Armen zu ihm um.
    »Okay.« Er räusperte sich. »Ich kann dich so, wie du momentan bist, nicht besonders gut leiden. Du hast dich verändert. Du bist nur noch misstrauisch und panisch und genervt, keifst jeden an, schlägst um dich, verbreitest miese Stimmung, heulst oder fluchst. Es ist echt anstrengend. Aber ich weiß, dass du eigentlich gar nicht so sein willst und ... darunter leidest. Oder?«
    Ich nickte und spürte, wie mein Gesicht warm wurde und zu pochen begann.
    »Ich nehm das jetzt so hin, weil wir Zusammenhalten müssen. Ich weiß nicht, was danach ist. Aber wir sind wie ... Kennst du Der Herr der Ringe?«
    »Oh Gott«, murmelte ich. »Auch das noch. Elfenscheiße.«
    »Dann denk dir die Elfen weg. Es geht darin um Freundschaft. Aus diesem Grund mag ich das Buch. Es sind Gefährten, die zusammen in den Kampf ziehen, und der eine ist bereit, für den anderen alles zu geben und zu riskieren. Ich sehe das bei

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