Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
...«
    »Wer?« Tillmann schüttelte mich heftig. »Von wem redest du?«
    »Colin! Colin war hier, ehrlich, Tillmann, er war da! Wir müssen fliehen, sofort. Wir müssen abhauen. Die werden uns umbringen!« Ich wollte aufstehen, um mich anzuziehen und meine Sachen zu packen, doch Tillmann hielt mich fest und ich war zu aufgelöst, um mich auch nur an einen von Lars' eisernen Hebelgriffen zu erinnern.
    »Flucht? Du willst fliehen? Aber wohin denn?«
    »Das ist mir scheißegal! Wir müssen weg - weit weg! Am besten auf einen anderen Kontinent!« Wieder wollte ich mich vom Sofa erheben, doch Tillmann zwang mich zum Sitzen.
    »Colin ist hier«, sagte ich so überzeugend, wie ich nur konnte. »Er ist da. Glaub mir. Ich weiß es schon länger, ich spüre ihn. Ich hab seltsame Träume von ihm und dann ... das hier ...« Ich schob ihm die Zeitung hinüber. Ich hatte den Artikel heute Morgen immer und immer wieder durchgelesen. Das Tigerweibchen im Tierpark Hagenbeck hatte ihre Jungen gefressen und verhielt sich auffällig aggressiv. Wie alle anderen Großkatzen auch. Colin beraubte sie. Sie spürten ihn - genauso intensiv, wie ich ihn spürte.
    »Das passiert oft bei Tieren in Gefangenschaft. Ist doch auch kein Wunder, oder?«, wandte Tillmann ein. »Die wissen, dass das kein Leben ist, kein natürliches Umfeld. Das bedeutet gar nichts. Komm, wir schauen im Internet nach, vielleicht finden wir etwas raus und du kannst dich abregen.«
    Tillmann öffnete Pauls Laptop und ging auf die Website von Trischen. Ich schrie auf, als uns das freundliche Gesicht der Vogelwartin entgegenlächelte. Hastig überflog ich den Text. Wieder gesund, konnte Dienst antreten ...
    »Ich hatte recht. Er ist nicht mehr dort. Er ist hier! Ich hab ihn gesehen. Oh Gott ...« Nun fiel mir ein, dass Colin aus dem Autofenster geschaut hatte, als er sagte, er würde bis zum Kampf auf
    Trischen bleiben. Er hatte mich angelogen. Er hatte von Anfang an gewusst, dass er das nicht tun würde. Womöglich hatte er sich mit François zusammengetan, weil ich zu weit gegangen war. Und all seine Worte und Taten auf Trischen hatten nur dazu gedient, mich so sehr an ihn zu binden, dass ich nicht bemerkte, was eigentlich vor sich ging. Alles war Heuchelei gewesen. Er hatte mich benutzt. Das mit Tessa hatten die Mahre mir durchgehen lassen. Aber mein Vorhaben, François zu stellen, hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Ich hatte es übertrieben. Colin hatte die Seiten gewechselt. Von wegen, Mahre verbündeten sich nicht. Auch das war eine schmutzige Lüge gewesen ... Was hatte Papa gesagt? Es liegt in ihrem Wesen, die Menschen hinters Licht zu führen. Mahren ist nicht zu trauen.
    »Glaub mir, Tillmann. Wir müssen fliehen. Bitte lass uns fliehen.«
    »Nein.« Tillmann reckte entschieden das Kinn. »Ellie, du drehst durch. Gut, vielleicht ist Colin nicht mehr auf der Insel. Was soll er denn auch machen, wenn die Vogelwartin wieder gesund ist? Sich weigern, ihr den Platz zu überlassen? Geht wohl schlecht. Und ja, vielleicht hast du ihn hier gesehen. Aber er war bestimmt nicht derjenige, der dich bedroht hat. Du hast den Angreifer nicht erkennen können, oder?«
    »Nein, aber ... «
    »Also. Wie war Colin eigentlich auf Trischen? Hattest du dort auch schon Angst vor ihm? Hat er sich in irgendeiner Weise dämonisch benommen?«
    Ich schwieg und versuchte, mich zu erinnern. Nein, ich hatte keine Angst vor ihm gehabt - nur vor meinen und seinen Erinnerungen. Und wenn ich es mir recht überlegte, hatte ich ihn noch nie zuvor so wenig dämonisch erlebt wie in diesen Tagen. Nicht einmal seine spitzen Ohren waren mir aufgefallen, weil sie sich meistens unter seinen langen Haaren verborgen hatten. Aber vielleicht war das alles schon ein Teil seines Plans gewesen und hatte nur dazu beigetragen, mich einzulullen?
    »Ich - ich weiß es nicht«, stammelte ich.
    »Hat er dir etwas mit auf den Weg gegeben? Irgendwelche Hinweise, was passieren kann vor oder bei dem Kampf? Einen Rat?«, fragte Tillmann weiter. Ich hasste und bewunderte ihn für seine Sachlichkeit.
    »Ja ... ja, das hat er. Er hat gesagt, dass ich ihm unbedingt vertrauen soll, wenn es in den Kampf geht, und ... «
    »Dann tu das«, unterbrach Tillmann mich. »Vertrau ihm. Versuch es wenigstens. Ich vertraue Colin. Ich tue es aus reinem Selbstzweck. Sonst werde ich verrückt.« Und du bist es schon fast, sagten mir seine Augen.
    »Vom Kopf her verstehe ich das ja«, erwiderte ich drängend. »Aber meine Instinkte sagen

Weitere Kostenlose Bücher