Scherbenmond
von einem Ding geredet hätte. Doch wie hieß es so schön? Man soll die Dinge beim Namen nennen.
»... der Mahr an der Hauswand hochgeklettert ist. Und trotzdem - bum, weg. Außerdem - was sollen wir tun, falls wir wach bleiben und ihn bemerken? Ihm Winkzeichen geben, damit er uns auch noch befällt? Nein, ich hab eine bessere Idee.«
Zweifelnd blickte ich ihn an. »Und die wäre?«
»Wir tun das, was Colin uns geraten hat. Wir sammeln Beweise. Wir stellen eine Kamera auf und filmen den Befall.«
»Schön. Und wo gedenkst du, die Kamera aufzustellen, ohne dass Paul und der Mahr etwas merken?«
»Reg dich ab, Ellie. In unserem Zimmer natürlich.«
»In unserem Zimmer«, wiederholte ich verständnislos.
»Ja. Wir bohren ein Loch durch die Wand. Kameraaugen glühen rot, oder? Denk mal an die Schlange ...«
Ich horchte auf. Die Schlange - das große Bild in Pauls Schlafzimmer. Die Schlange mit dem roten Auge. Es hing direkt gegenüber seinem Bett.
»Du willst die Wand durchbohren? Dieses Haus steht unter Denkmalschutz und Paul war schon genug bedient, als ich die Trennwand zwischen Küche und Wohnzimmer zertrümmert hab. - Aber die Idee ist eigentlich gar nicht schlecht«, gab ich nach einer Denkpause unlustig zu.
»Die Mauer ist nicht besonders dick. Wir bohren ein Loch durch eine der Fugen, gerade so groß wie die Linse, positionieren die Kamera, schalten sie ein, fertig. Selbst wenn wir einschlafen, zeichnet sie auf.«
»Das wage ich zu bezweifeln. Mahre setzen oft die moderne Technik außer Gefecht. In Colins Nähe hat fast nichts funktioniert. Mein Handy brauche ich gar nicht erst anzuschalten, wenn er bei mir ist.« Wenn ...
»Colin ist ein Cambion«, wandte Tillmann ein. »Einer der stärksten und mächtigsten, oder?«
»Zumindest in seiner Altersklasse.« Aber nicht im Kampf gegen Tessa, führte ich meinen Gedanken ernüchtert zu Ende.
»Also. Heißt lange nicht, dass das bei den anderen auch so ist. Wir sollten es wenigstens probieren.« In Tillmanns Mahagoniaugen stand jenes entschiedene Brennen, das ich inzwischen zu gut kannte. Er wollte es tun. Alles in ihm fieberte darauf hin. Und ich hatte keinen besseren Vorschlag. Einen Versuch war es wert.
»Na gut. Dann nimm eine von Pauls Kameras.«
»Vergiss es. Die funktionieren alle nicht einwandfrei. Dein Bruder kriegt jedes Gerät kaputt. Er hat kein Händchen dafür. Ich hab mir für die letzten Aufnahmen eine leihen müssen und die steht in der Galerie. Ich brauche eine neue. Mit möglichst langer Aufnahmezeit und Nachtfunktion.«
Ich stand wortlos auf, ging in unser Zimmer, zog ein Bündel Scheine aus dem einen Katzenschädel und lief zurück in die Küche. Doch das Bündel fühlte sich dünner an als vorher. Irritiert blieb ich auf der Türschwelle stehen und blätterte es durch. Es fehlten mindestens hundertfünfzig Euro.
»Von irgendwas muss ich den Stoff ja bezahlen«, sagte Tillmann achselzuckend, bevor ich meinem Ärger Luft machen konnte.
»Du hast von meinem Geld Haschisch gekauft?«
»Ich hab noch kein Gehalt von Paul bekommen. Hätte ich klauen sollen?«
»Du hast geklaut! Bei mir!«
»Jaaa«, erwiderte Tillmann gedehnt und kratzte sich gähnend im Nacken. »Aber es bleibt quasi in der Familie. Und du hast genug davon. Außerdem war mein Kiffen ja auch für was gut. Wir sind wach geblieben, haben mitbekommen, wie der ... der Mahr kam ...«
»Super. Ich bin dir unglaublich dankbar, diese Erfahrung gemacht zu haben, weil ich dadurch in Zukunft sicher süßer einschlafe denn je. Ich bin jetzt noch total am Zittern! Und ich weiß nicht, wie lange Paul das durchhält!«
»Deshalb sollten wir erst recht was unternehmen. Ich denke, siebenhundert Euro reichen.« Er streckte die Hand aus und wackelte mit den Fingern.
»Du bringst mir die Quittung, und wehe, wenn nicht.« Ich warf ihm die Scheine neben seine Kaffeetasse.
»Klar. Kannste bestimmt von der Steuer absetzen.«
»Tillmann ...« Ich hatte selten das Bedürfnis, jemandem eine Ohrfeige zu verpassen, aber in diesem Moment war es eindeutig vorhanden. Sehr stark sogar.
»Ist ja gut. Was willst du eigentlich unternehmen? Ich hab jetzt meine Aufgabe.«
Tja. Das war eine berechtigte Frage. In den vergangenen Tagen hatte ich stundenlang rumgesessen und sinnlos die Zeit totgeschlagen, während Paul und Tillmann zusammen durch Baumärkte streiften, Bilder rahmten, Kataloge erstellten und es sich anschließend bei Vernissagen gut gehen ließen, auch wenn das für Tillmann dank
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